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Forstpraxis

Das Waldsterben - 
ein Mythos?

Foto: NDR
Von Fritz Marti
Kantonsoberförster 
Glarus (Schweiz)

...Meine Schlussfolgerung aus dem, was ich in den vergangenen 20 Jahren gehört, gelesen, gesehen und erlebt habe, ist folgende:

Das in Osteuropa eingetretene Waldsterben konnte bei uns vorderhand verhindert werden. Dies dürfte unter anderem der Verbesserung der Luftqualität zu verdanken sein. Die Waldschadensforschung hält fest, dass unser Wald zur Zeit nicht akut gefährdet ist, warnt aber vor Langzeitschäden durch übermässigen Eintrag von Luftschadstoffen, insbesondere von Säuren und Stickstoff. Die zunehmend einseitige Ernährung der Bäume könnte dazu führen, dass die Anfälligkeit – beispielsweise auf Trockenheit, Käferschäden und Stürme – weiterhin ansteigt

... Den Begriff „Waldsterben“ lehnt die Waldschadensforschung heute kategorisch ab. Vielleicht nicht ganz zu unrecht, denn dieser Begriff ist nach heutigen Erkenntnissen zu absolut. 

Entscheidend ist, dass wir uns des Langzeitrisikos bewusst sind und die Anstrengungen zur Verbesserung der Luft auch aus der Sicht der Walderhaltung konsequent weiter verfolgen. Und eben diese Forderung verpufft ungehört, wenn wir gleichzeitig überall verkünden: Wir haben uns geirrt – es gibt kein Waldsterben.

Aus: "Wald und Holz". Der komplette Wortlaut des Beitrages steht hier.



 
 

 

Wissenschaft

Gülle und Ställe
belasten Wälder

16. 11. 2013. Das "gelbe Gift" Schwefel, das vor 30 Jahren die Wälder massiv schädigte, ist durch die seither vorgelegte konsequente Luftreinhaltepolitik weitgehend bezwungen. Dagegen machen Stickoxide, großenteils Ammoniak aus Agraremissionen, den Wäldern weiterhin zu schaffen, so dass nach wie vor saure Niederschäge durch Kalkgaben kompensiert werden müssen. 

Das Ammoniak-Problem "müssen wir durch strengere Auflagen für Tierställe in Niedersachsen in den Griff bekommen", sagt Niedersachsens grüner Landwirtschafts- und Forstminister Christian Meyer, der am Freitag den diesjährigen Waldzustandsbericht vorgestellt hat.

"Zu hohe Stickstoffeinträge, Frostschäden, Trockenheit und Insekten setzen den niedersächsischen Wäldern weiter zu. Besonders Buchen und Eichen leiden, Böden und Grundwasser sind belastet," resümiert Meyer die Ergebnisse der Untersuchung, die rund 1,16 Millionen Hektar Staats-, Privat- und Kommunalwald unter die Lupe genommen hat, darunter etwa 335.000 Hektar Landeswald. 

Jahr für Jahr regnet eine Stickstoffmenge von bis zu 27 Kilogramm pro Hektar auf die Bäume herab oder wird von den Kronen ausgefiltert. "Das ist mehr, als die Pflanzen verbrauchen können", sagte der Forstminister. 

Daher sammeln sich die Nährstoffe später im Boden an, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) in Göttingen in einem langjährigen Wald-Umweltmonitoring festgestellt haben. Meyer wies darauf hin, dass im Boden zusätzlich Schwefeleinträge gespeichert seien. "Waldbesitzer tun deshalb sicher auch künftig gut daran, mit einer an den Standort angepassten Waldkalkung die Säuren zu kompensieren."

Nach Angaben des Ministers sind von Kronenverlichtung, also dem Nadel- und Blattverlust, insbesondere ältere, über 60-jährige Eichen betroffen. Ähnlich wie Buchen reagieren sie auf Umweltstress sehr empfindlich und haben fast ein Drittel ihrer Blattmasse verloren. Bezogen auf sämtliche Baumarten hat die Kronenverlichtung mittlerweile einen Anteil von etwa 16 Prozent, bei den mehr als 60 Jahre alten Bäumen ist sie doppelt so hoch.

Auf EU-Ebene regelt die Richtlinie NEC (National Emission Ceilings) nationale Emissionshöchstmengen und die Senkung von Luftschadstoffen. Demnach wurde für Deutschland die Emissionshöchstmenge von 550 Kilotonnen Ammoniak (NH3) pro Jahr festgelegt. Während 2010 diese Grenze mit 552 Kilotonnen Ammoniak knapp überschritten wurde, kam es 2011 laut Umweltbundesamt zu einem Anstieg auf 564 Kilotonnen Ammoniak. 

Fast 94 Prozent der NH3-Emissionen stammen aus der Landwirtschaft, Niedersachsen hat mit beinahe einem Viertel den größten Anteil an der nationalen Emissionsmenge. "Dieses Problem müssen wir durch strengere Auflagen für Tierställe in Niedersachsen in den Griff bekommen", sagte Minister Meyer.

Minister Meyer sagte, wegen effektiver Luftreinhaltung seien zwar die Schwefeleinträge stark zurückgegangen und der saure Regen "zum Glück aus den Schlagzeilen verschwunden": "Aber ähnliche Verbesserungen müssen uns auch bei den immer noch viel zu hohen Stickstoffeinträgen gelingen. Um die Ammoniak-Emissionen in der Landwirtschaft zu reduzieren, soll auch die von der Landesregierung eingeläutete sanfte Agrarwende einen Beitrag leisten." 

Geeignete Maßnahmen sind Meyer zufolge unter anderem wirksame Filter in Großställen, bodennahe Ausbringungstechniken für organisches Material und die Abdeckung von Güllelagern. "Wegen seiner großen Bedeutung für eine gesunde Umwelt soll das intensive forstliche Umweltmonitoring fortgesetzt und gestärkt werden", so Meyer.

Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt in Göttingen stellt den jährlichen Waldzustandsbericht zusammen. Sie forscht praxisorientiert und berät Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer auf rund einem Viertel des deutschen Waldes.

Der Waldzustandsbericht 2013 steht im Web zum Download bereit.


Ein Blick zurück
nach 32 Jahren


Ein neues Buch beleuchtet 
die Debatte zum Waldsterben

15. 10. 2013.  Beiträge von Forstwissenschaftlern und Interviews mit Zeitzeugen wie der Waldbesitzerin Gloria Fürstin von Thurn und Taxis und dem Umweltjournalisten Jochen Bölsche enthält ein soeben erschienenes Buch, das - fast ein Dritteljahrhundert danach - die Anfang der Achtziger geführte Debatte über das Waldsterben und deren Folgen resümiert und analysiert. In der Verlagsankündigung für Das Waldsterben. Rückblick auf einen Ausnahmezustand heißt es: 

"'Der Wald stirbt' titelte der SPIEGEL 1981. Das Waldsterben und der Saure Regen waren damit im Mittelpunkt einer breiten öffentlichen Debatte angekommen. Wie kein Umweltproblem zuvor beschäftigte es die Menschen in der Bundesrepublik. 

Der von Forstwissenschaftlern ausgelöste Alarm zeigte enorme Wirkung: Waldschadensforschung, Medien, Politik, Wirtschaft und zahlreiche umweltpolitische Gruppierungen meldeten sich in einer heftig geführten Auseinandersetzung zu Wort. Eine Protestbewegung entstand, die quer durch alle politischen Spektren den Schutz der Wälder und bessere Luftreinhaltung einforderte. 

Wie hat diese Bewegung Politik und Gesellschaft beeinflusst? Was lässt sich daraus für aktuelle Umweltdebatten lernen? Das Buch "Das Waldsterben. Rückblick auf einen Ausnahmezustand" geht diesen Fragen auf den Grund.

Gut 30 Jahre ist es her, dass Bilder entnadelter Tannen und Szenarien kahler Berghänge eine ganze Gesellschaft in Alarmbereitschaft versetzten. Bodenkundler sagten ein Absterben der großen Wälder innerhalb von fünf Jahren voraus. Schwefelwasserstoff und andere Gifte, allen voran die Emissionen von Braunkohlekraftwerken, stellten eine reale Bedrohung dar. 

Doch zum Glück bewahrheiteten sich die schlimmsten Prophezeiungen nicht. 2003 erklärte die damalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast das Waldsterben für beendet. Aber das Waldsterben war mehr als eine ausgebliebene Katastrophe. Es veränderte das Umweltbewusstsein in der Bundesrepublik nachhaltig und setzte einen gesellschaftlichen Prozess in Gang, der bis heute nachwirkt.

Das Buch macht deutlich, dass der Stellenwert der Waldsterbensdebatte an ihren Folgen bemessen werden muss. In Originalbeiträgen, die neueste Forschungsergebnisse vorstellen, und ergänzt durch zahlreiche Bilddokumente aus der Ausstellung "Erst stirbt der Wald..." des DFG-Forschungsprojekts "Und ewig sterben die Wälder - Die Debatte um das 'Waldsterben'" zeichnet es die Vielschichtigkeit dieser Umweltdebatte nach. 

Roderich von Detten: Das Waldsterben. Rückblick auf einen Ausnahmezustand, oekom verlag, 01. Oktober 2013, 16,5 x 23,5 cm, 160 S., ISBN 978-3-86581-448-7, 24.95 EUR, 25.70 EUR (A), 34.90 CHF. Erhältlich auch als E-Book.
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"Unbestrittenen 'Umweltproblem
Nummer eins' in Westdeutschland"

Die Forstwissenschaftlerin Birgit Metzger schreibt in dem neuen Buch: "Der SPIEGEL erkannte die politische Brisanz des Themas und brachte es im November 1981 in einer dreiteiligen Titelserie groß heraus . Sie fasste für eine große Öffentlichkeit zusammen, was sich in den vorangegangenen Monaten im Feld der Forstpraxis, der Wissenschaft, der Umweltbürokratie, Teilen der Umweltbewegung und der Presse bereits abgezeichnet hatte. Zwischen November 1981 und Frühjahr1983 entwickelte sich das Waldsterben zum unbestrittenen 'Umweltproblem Nummer eins' in Westdeutschland."

Die Folge: Säureeintrag unter 
die Schadschwelle gedrückt


Säureeintrag pro Hektar und Jahr

Mitautor Klaus von Wilpert schreibt zu seinem hier wiedergegebenen Schaubild: "Nach einer überproportional hohen Belastung in den 1970er und 1980er Jahren ging die Säurebelastung stark zurück und erreichte 2010 den Stand von Anfang des 20. Jahrhunderts. Das bedeutet, dass die aktuelle Säurebelastung im Regenwasser in Baden-Württemberg jetzt unterhalb der Schwelle liegt, die langfristig Schäden auslöst

Dies ist als Erfolg einer konsequenten Luftreinhaltepolitik zu werten. Es ist aber auch darauf zurückzuführen, dass die ehemals ostdeutsche, stark auf Braunkohle basierte Industrie seit der Wiedervereinigung weniger und umweltfreundlicher produziert." 

„Die Zuspitzung war notwendig, 
um politische Effekte zu erzielen“


Interview zur SPIEGEL-Waldberichterstattung

Jochen Bölsche arbeitete von 1965 bis 2000 als Redakteur für den SPIEGEL, bis 2010 als Autor. 1981 schrieb er zusammen mit zwei Korrespondenten die dreiteilige Titelserie „Saurer Regen über Deutschland“, die die Waldsterbensdebatte maßgeblich mit auslöste. In den 1980er Jahren veröffentlichte er weitere Artikel und Bücher zum Waldsterben, etwa 1984 „Das Gelbe Gift. Todesursache: Saurer Regen“. Er erhielt Journalistenpreise der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände sowie der Deutschen Umweltstiftung und setzt sich auch ehrenamtlich für den Natur- und Denkmalschutz ein.

Herr Bölsche, wie haben Sie die Waldsterbensdebatte zu Beginn der 1980er Jahre erlebt?

Die Themen Waldsterben und Ökologie haben mich seit Anfang der 1980er Jahre beschäftigt. Wohnhaft im grünen Umland Hamburgs, in der Nordheide, und Mitglied im BUND und bei den Naturfreunden, kam ich damals mit solchen Fragestellungen relativ früh in Kontakt. Ich war, auch geografisch, einfach dichter dran am Thema Natur- und Landschaftsschutz als die in der Grossstadt ansässigen Kollegen aus der Hamburger Redaktion, bei denen zudem Vorbehalte gegen Naturschützer, angeblich rückwärtsgewandte Zukunftsverweigerer, verbreitet waren.

Ich hatte – auch in den Zeitschriften der Verbände, denen ich angehörte – Alarmierendes gelesen über Acidification und Seen ohne Fische in Skandinavien, über Schäden an historischen Bauten durch Luftschadstoffe, schliesslich folgten erste Berichte über ein Tannensterben im Schwarzwald. Wichtig waren für mich die Arbeiten der Forstwissenschaftler Bernhard Ulrich aus Göttingen und Peter Schütt aus München. Hinzu kamen Meldungen über Gesundheitsschädigungen vor allem bei Kleinkindern, etwa im Ruhrgebiet, durch Smog. 

Das waren alles Mosaiksteinchen, die sich zu der Hypothese fügten: Da gibt es Zusammenhänge. Da verfestigte sich das Bild, dass möglicherweise ein Teil jener Schadstoffe, die die Baumschäden und Seensterben verursachen, auch mitverantwortlich sind für die Gesundheitsschäden. In dieser gleichsam interdisziplinären Betrachtungsweise war der Journalismus damals der Wissenschaft voraus, er hat Fragestellungen aufgeworfen, die dann später von der Wissenschaft abgearbeitet wurden. 

Für die SPIEGEL-Serie haben mir zwei Korrespondenten vor Ort zugeliefert, die auch mit Schütt und Ulrich gesprochen hatten. Ich selber habe in der Redaktion, wo ich als Aktenfresser bekannt war, die wissenschaftlichen Texte durchgearbeitet. Ich weiß noch, dass die druckfertige Serie dann gefühlte Monate, vielleicht auch nur Wochen, ungedruckt blieb, weil zunächst aktuelle politische Titel Vorrang hatten. Aber ich hatte das Gefühl, mir läuft die Zeit weg, das Thema kommt an allen Ecken und Enden hoch. Aber schließlich warder SPIEGEL dann doch vorneweg.

Was war Ihr Anliegen als Journalist?

Mein Selbstverständnis war es, Dingen auf den Grund zu gehen und das, was ich als politisch richtig befunden habe, auch dem Leser zu vermitteln – ein Verständnis von Journalismus, das nicht jeder teilt und nicht jeder teilen muss. Immer habe ich auch in meiner Freizeit versucht, das, was mich bewegt hat, umzusetzen. Bei den Naturfreunden und beim BUND war ich nach Feierabend in Veranstaltungen mit Umweltthemen befasst und tagsüber in der Redaktion. Ich habe dabei immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ich gemeinsam mit anderen dazu beitragen kann, Missstände zu beheben und Dinge zu bewegen, und das hat sich dann ja auch in Sachen Waldsterben bestätigt. Von Missständen habe ich zum Beispiel von Kinderärzten im Ruhrgebiet gehört, die über die Beeinträchtigung des noch wenig entwickelten Abwehrsystems von Säuglingen durch Schadstoffe klagten. Ich habe mich allerdings nicht davon abschrecken lassen, dass zunächst nur eine Minderheit der Mediziner, der Bodenforscher und Forstwissenschaftler gesagt hat: Da liegt was in der Luft. Nach Veröffentlichung der SPIEGEL-Serie hatte ich das Gefühl, dass sich die öffentliche und politische Diskussion verändert.

Welche Rolle spielten die Medien bei der Zuspitzung der Debatte, die regelrecht apokalyptische Züge trug?

Immer wieder wird Professor Ulrich zitiert, der sagte, dass in fünf Jahren flächendeckend die Wälder absterben werden. Er hat allerdings immer hinzugefügt: wenn nichts passiere. Ich habe das auch als Worst-Case-Szenario verstanden. Das in einer Überschrift zitierte Wort vom „ökologischen Hiroshima“ stammt von Freimut Duve (SPD). Es wäre sicherlich ein journalistischer Kunstfehler gewesen, ein so plakatives Zitat nicht zu verwenden. Natürlich hat die Mehrheit der Wissenschaftler sich nicht so pointiert geäußert. Es gab sicherlich gerechtfertigte Vorbehalte und Einschränkungen, die in einer zwangsläufig im Umfang begrenzten journalistischen Darstellung nicht in aller Breite und Ausführlichkeit wiedergegeben werden können. Insofern war die journalistische Darstellung wissenschaftlicher Thesen oft pointierter als die Aussagen des Quellenmaterials. Die Zuspitzung war aber wohl notwendig, um genau die politischen Effekte zu erzielen, die letztlich die überfällige Verschärfung des Luftreinhaltungsrechts bewirkt haben. Der Journalismus wurde zum Themengeber für die Umweltbewegung, nachdem sie zunächst für mich – als Verstärker – Themengeber gewesen war.
 

Wie stehen Sie zur Kritik an der Berichterstattung über das Waldsterben?
 

Die sogenannten Öko-Skeptiker unterschlagen regelmäßig die Erfolge der Umweltbewegung und der Umweltgesetzgebung. Es wird so getan, als sei gesagt worden, der Wald wird sterben – und weil er nicht gestorben ist, wird das als Beleg für ungerechtfertigten Alarmismus hingestellt. Das ist natürlich eine grobe Verzerrung. Die Kritik muss auch die Tatsache berücksichtigen, dass es damals keine breite wissenschaftliche Strömung gab, die sich des Problems angenommen hat. Dass es dennoch auf die politische Agenda gekommen ist, war auch eine Leistung der Medien.

Wie bewerten Sie die Waldsterbensdebatte im Rückblick?

Ich glaube, dass damals in Folge der Waldsterbensdiskussion sehr viel in Gang gekommen ist, in allen Bereichen. Die Parteienlandschaft veränderte sich. In vielen Redaktionen wurden Umweltressorts gegründet, die Medien wurden „grün“, auch Frauenzeitschriften, Hörfunk- und Fernsehredaktionen brachten Umwelttipps. Es herrschte Aufbruchsstimmung, auch im SPIEGEL standen in manchen Wochen drei, vier Umweltgeschichten. Die Forcierung der Luftreinhaltepolitik ist, neben der Gewässerreinhaltung, die größte Erfolgsgeschichte der deutschen Umweltbewegung. Sie geht zurück auf das Zusammenspiel von kritischen Wissenschaftlern, die sich zum Teil in ihren Fachgebieten damals noch in der Minderheit befunden haben. Sie wurde nicht etwa ausgelöst durch die klassische Naturschutzpublizistik und auch nicht durch die ersten Grünen, die gerade im Kampf gegen das Atom die Kohle wiederentdeckt hatten. Die Umweltbewegung ist in ihrer Breite durch die Debatte über Waldsterben und Säuglingssterben ausgelöst worden, nicht durch die Kernkraftdebatte. Leider hat die Umweltbewegung ihre enormen Erfolge auf dem Gebiet der Luftreinhaltung nicht ausreichend kommuniziert - vielleicht weil es eher Fördergelder, eher Fördermitglieder gibt, wenn man auf drohende statt auf überwundene Gefahren hinweist. Jedenfalls wurde lange Zeit nicht wirklich lautstark Entwarnung gegeben.


Robin Wood

30 Jahre "Rächer
der Entlaubten"

10. 11. 2012. Die Umweltinitiative Robin Wood, bekannt geworden als "Rächer der Entlaubten", wird am 12. November 30 Jahre alt. In einem Rückblick auf das Gründungsjahr schrieb die Organisation vor einiger Zeit: "Die Politik will am liebsten nicht darüber reden."

Foto: Robin Wood
Robin-Wood-Aktion 1983

Das Thema dürfe aber "nicht ad acta gelegt werden". "Zwar ist der Wald - gottseidank - nicht gestorben. Aber die bundesamtlichen Zahlen der jährlichen Waldschadensstatistik sprechen eine klare Sprache. Die Fieberkurve des Waldes ist seitdem noch deutlich angestiegen

Die Ursachen dafür sind wie so häufig komplexer als anfangs gedacht. Es genügte nicht, die Kraftwerke zu entschwefeln, sie mussten auch entstickt werden, die Autos dann selbstverständlich auch. Heute richten sich unsere Aktionen und Forderungen gegen den Güterverkehr auf der Straße und die Güllewirtschaft in der Landwirtschaft, bei denen sich so gar nichts in Richtung Schadstoffminderung tut. Und Klimaschutz ist inzwischen längst auch Waldschutz. Denn die Folgen der Klimaveränderung – längere Trockenperioden, häufigere Stürme und zunehmende Schädlingsepidemien - hinterlassen seit Jahren kahle Flächen und schüttere Baumkronen in den Wäldern.


Niedersachsen

Kalk für die Forsten
zwischen Elbe und Oste


Hubschrauber zum Kalkausbringen

18. 10. 2012. Hubschrauber fliegen von Freitag, 19. Oktober, an über Wälder des Ostelandes, um Kalk zu streuen. Die Kalkung startet in der Region um Stade und Oldendorf und wird im Raum Lamstedt und Hemmoor fortgesetzt. Auf mehr als 500 Hektar Wald der Forstbetriebsgemeinschaft Stade/Land Hadeln werden ca. 1.500 Tonnen Kalk ausgebracht. 

Ziel der Aktion es, die negativen Auswirkungen der Schadstoffeinträge - seit den 80er Jahren bekannt als Saurer Regen - auf die Wälder zu kompensieren, die Abwehrkräfte der Bäume zu stärken und den Waldboden zu regenerieren. 


Umweltgeschichte

Waldalarm 1981 - "sich selbst
verhindernde Prophezeiung"?


SPIEGEL-Titel zum Waldsterben (1981)

"Hat die breite Diskussion das Waldsterben verhindert? War die Diskussion über das Waldsterben in den 80ern reine Panikmache oder eine sich selbst verhindernde Prophezeiung?" Diese Fragen wirft, über 30 Jahre danach, in einem Beitrag für FOCUS-Online die Redakteurin Christina Steinlein auf. 

In dem Artikelheisst es unter anderem: "Das Waldsterben war in den 80er-Jahren eins der bedeutendsten Umweltthemen der Bundesrepublik. Wissenschaftler hatten damals neuartige Waldschäden festgestellt: Baumkronen wurden schütter, an den Fichten vergilbten die Nadeln und fielen ab. ... Journalisten boten den Wissenschaftlern eine große Bühne. Eine SPIEGEL-Titelgeschichte von 1981 hob das Waldsterben erst richtig auf die öffentliche Agenda. ... Der öffentliche Druck wurde so stark, dass die Politik reagieren musste. Kraftwerke und Müllverbrennungsanlagen entschwefeln seitdem ihren Rauch, Autos fahren obligatorisch mit Katalysator, dafür muss bleifreies Benzin verwendet werden – insgesamt senkten diese Maßnahmen die 
Schadstoffkonzentrationen in der Luft deutlich.

'Diese Aktionen waren richtig', ordnet Reinhard Hüttl ein. Der Leiter des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) hat selbst jahrzehntelang zum Waldsterben geforscht. 'Schwefel- und Stickoxide in der Luft belasten das Atemsystem und verursachen Allergien und Asthma, sie schädigen Gebäudefassaden, versauern Seen und belasten Grundwasser. Diese Probleme sind abgemildert.' 

Hat die breite Diskussion das Waldsterben verhindert? Umweltschützer sehen die Waldsterbendebatte als vollen Erfolg. Aus ihrer Sicht handelt es sich dabei um eine sich selbst verhindernde Prophezeiung: Das Waldsterben trat nur deshalb nicht ein, weil Wissenschaftler rechtzeitig warnten und die Politik Gegenmaßnahmen durchsetzen konnte, nebenbei etablierte es den Umweltschutz in Deutschland.

'Ob es ohne die Maßnahmen zu einem großflächigen Waldsterben gekommen wäre, ist bis heute unklar', sagt Hüttl. ... Die damalige Diskussion sei zu einseitig gewesen. ... 'Die Schwefeldioxide in der Luft und der saure Regen waren ein Grund für die Verfärbungen der Nadeln und den Laubverlust. Aber bei Weitem nicht der einzige.'" Der Artikel ist online verfügbar.


Waldmuseum

Kindgerecht
oder kritisch?


Neues Logo des Waldmuseums

30. 4. 2013. Seit fast einem halben Jahrhundert gibt es das Waldmuseum in der Wingst. 1965 gegründet, hat es sich wiederholt gehäutet. Das Waldmuseum 2013 - ab Ende Mai der Öffentlichkeit zugänglich - ist vor allem kindgerecht.

Um die Jahrtausendwende wurde, wie oste.de 2008 berichtete, "die Sammlung und ihre Präsentation in den hellen, lichten Räumen .. von der Dipl.-Biologin Dr. Kathrin Baumann von der Bad Harzburger Alnus GbR runderneuert und aktualisiert. Vertreten ist unter anderem ein so hochaktuelles Thema wie der nun allenthalben empfohlene Waldumbau: Mischwälder statt monotoner Stangenforsten, damit Deutschlands grünes Drittel, vorgeschädigt durch Sauren Regen, künftig gegen Stürme, Borkenkäferbefall, Trockenheit und andere Begleiterscheinungen des Klimawandels besser gewappnet ist".

Über dieses ökologisch orientierte Konzept hatte der Präsident der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Dr. Wolfgang von Geldern, beim damaligen Neustart erklärt, das "feine, kleine, moderne Waldmuseum" leiste u. a. "einen wichtigen Beitrag für die waldpädagogische Arbeit ... im Rahmen des großen Auftrags, die Bedeutung des Waldes für Umwelt und Klima ins Bewußtsein zu rufen, gerade auch in einer Zeit vielfacher Gefährdungen und Belastungen dieses einzigartigen Biotops".

Dieses Museum war 2005 der schwarz-gelben Cuxhavener Kreistagsmehrheit ein Dorn im Auge: CDU und FDP strebten an, sich des Kostenfaktors Waldmuseum zu entledigen. 

Die Rede war von einer Schließung des musealen Kleinods (ebenso wie auch des Hermann-Allmers-Heims in Rechtenfleth und der Burg Hagen), bis Bürger, Kommunen und Organisationen lautstark gegen den geplanten "kulturellen Kahlschlag" protestierten

Die SPD-Kreispolitikerin (und heutige Staatssekretärin) Daniela Behrens stellte fest, die von Schwarzgelb geplanten Maßnahmen "helfen dem Kreishaushalt nicht weiter", zerstörten aber vor Ort "unwiderruflich die kulturpolitische Arbeit und die lokale Identität" (ein Berichte über den damaligen Kampf um das Waldmuseum steht auf dieser Archivseite).

Die öffentlichen Proteste und das Bürgerengagement führten dazu, dass die Schließung unterblieb. Zwei Dutzend Ehrenamtliche gründeten daraufhin einen Förderverein, um den Museumsbetrieb aus dem Händen der Kreisnaturschutzstiftung zu übernehmen. Mit der Erarbeitung einer neuen Ausstellung - Stichwort: kindgerecht - wurde ein Leipziger Museumsdienstleister beauftragt, textlastige Tafeln sollten laut Lokalpresse aus dem Museum "verbannt" werden.

Die nunmehr neu gestaltete Ausstellung, die Ende Mai eröffnet wird und an einem Tag der offenen Tür am 1. Mai vorbesichtigt werden kann, wendet sich an Grundschüler und Schüler der Unterstufen weiterführender Schulen, die auch die Zielgruppe der neu gestalteten Website www.waldmuseum-wingst.de sind. Zitat: "Unser Maskottchen der Dachs und seine Waldfreunde laden Dich herzlich ein, sie unter dem alten, hohen Reetdach zu besuchen. An 23 Ausstellungsstationen warten die Tiere und Pflanzen des Waldes darauf, von Dir entdeckt zu werden. Im Waldmuseum Wingst geht es dabei fröhlich zu: hier unkt die Kröte, ruft die Eule und klopft der Specht. Und die Vögel singen ihr Lied dazu. Mach auch Du mit und spiel das rollende Kuckucksspiel, trau Dich in den finsteren Nachtwald hinein und finde heraus, wer in der lustigen Dachs-WG wohnt."

Alles sehr löblich. Wer aber - als Jugendlicher oder Heranwachsender - daüber hinaus etwa wissen will, wie es heute um die Schädigung des Waldes bestellt ist, der auch im Elbe-Weser-Dreieck regelmäßig gekalkt werden muss, welchen Einfluss Agraremissionen und Klimawandel auf den Waldzustand haben, ob der überlebenswichtige Waldumbau vorangekommen ist - für den ist das Kinderwaldmuseum kaum die richtige Wahl. 


Umweltpädagogik

Neue Wald-Ausstellung
für Wingster Museum


Waldmuseum in Wingst (Kreis Cuxhaven)

Das Leipziger Büro Klinge & Wagner Museumsdienstleistungen hat mit dem Förderverein Waldmuseum Wingst und der Naturschutzstiftung des Landkreises Cuxhaven ein neues Konzept für das Waldmuseum in der Samtgemeinde Am Dobrock (Werbe-Flyer) erstellt. Das Papier enthält Ideen zur Gestaltung der Ausstellung, zu geführten Exkursionen in den Wald, zur Gestaltung der Außenanlagen und zum Marketing. 

Das lange Zeit vernachlässigte Museum (siehe unten) soll in sechs verschiedene Raumzonen aufgeteilt werden, wie zum Beispiel in einen abgedunkelten Raum zu dem Thema "Nachts im Wald", in der die nächtlichen Geräusche des Waldes und die nachtaktiven Tiere im Vordergrund stehen. 

Insgesamt  22 Ausstellungsstationen werden Kindern und auch Erwachsenen einzelne Tiere, Pflanzen und Lebensräume auf sehr individuelle Weise erläutern. So werden die Besucher auf ihrem Weg durch das Museum mit "unter die Erde" genommen, um dort die Bodenlebewesen kennenzulernen. Finanziert wurde das Konzept vom Amt für Landentwicklung in Bremerhaven und der Naturschutzstiftung des Landkreis. 


Umweltgeschichte

30 Jahre nach dem Waldalarm:
Umweltforschung zieht Bilanz


Ausstellung mit SPIEGEL-Heft (unten rechts)

15. 11. 2011. Vor genau 30 Jahren, am 16. November 1981, alarmierte der SPIEGEL mit der von Jochen Bölsche verfassten Titelgeschichte "Der Wald stirbt" die Nation. Drei Jahrzehnte danach bilanzieren Umweltschützer und Umweltforscher in Ausstellungen, Büchern und Artikeln die Auswirkungen dieser Veröffentlichung.


SPIEGEL vom 16. 11. 1981 - lesen

Im Haus des Waldes in Stuttgart-Degerloch zeigen Mitarbeiter des Instituts für Forstökonomie der Universität Freiburg zur Zeit (bis zum 22. Dezember) eine Ausstellung (Website) mit dem Titel "Erst stirbt der Wald..." (Bilder-Galerie), die über die Geschichte der damals ausgelösten Debatte informert, die "das Land veränderte" und den Wald zum "Umweltthema Nummer 1" werden ließ, wie die Öko-Organisation Robin Wood resümiert.

Der damalige Wald-Alarm und die breite Mobilisierung haben dramatische politische Reaktionen bewirkt: Die Waldschadstoffe Schwefeldioxid und Stickoxide wurden unter dem Druck der Öffentlichkeit - durch Entschwefelungsanlagen und PKW-Katalysatoren - derart drastisch bekämpft, dass die damals vorhergesagte Folge, das großflächige Absterben der Wälder, dem Land erspart blieb (mehr auf spiegel.de: "Die Rächer der Entlaubten").  Der Autor der Titelgeschichte wurde mit Medienpreisen der Deutschen Umweltstiftung und der Waldbesitzerverbände bedacht (mehr). 

In seiner neuen, in den Medien gefeierten grünen Weltgeschichte "Die Ära der Ökologie" schreibt der Umwelthistoriker Prof. Joachim Radkau über die Entschwefelung und Entstickung der Abgase: "Es handelte sich um ein Milliardenprojekt und war die bis dahin bei Weitem größte Einzelmaßnahme des deutschen Umweltschutzes. ... Die drastische Senkung der Schwefelemissionen trug mit dazu bei, dass der Waldsterben-Alarm statt zu einer self-fulfilling zu einer self-refuting prophecy wurde: Er gab den Anstoß zu Maßnahmen, die die Waldschäden verminderten, und wurde überdies für viele Umweltinteressierte zum Impetus, sich über die Waldschäden hinaus in Fragen der Waldökologie einzuarbeiten."

Radkau (Foto) betont in seinem Buch (Auszug), dass es nicht die Umweltbewegung oder die Politik, sondern der SPIEGEL gemeinsam mit einigen Wissenschaftlern war, der den "Startschuss gab" zu einem "Großalarm, der durch deutsche Umweltdiskurse der 1970er Jahre in keiner Weise vorbereitet war". Auch die oppositionelle SPD, der "die Solidarität mit den Ruhrkumpeln geheiligtes Traditionsgut war" (Radkau), liess zunächst nichts auf die Kohlekraftwerke kommen. Die Grünen - die sich 1981 noch gar nicht recht formiert hatten - steuerten damals ohnehin einen Anti-Atom- und Pro-Kohle-Kurs.

Der Wald-Alarm wirbelte diese Konstellation heftig durcheinander. Radkau schreibt: "'Wenn's um den Wald geht, da kriegen wir eine Volksbewegung', sah der Münchener Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel kommen. 1985 schrieb Carl Amery: 'Das Waldsterben war das erste gewaltige Schock-Erlebnis ökologischer Natur, welches die ganze Nation trifft und betrifft.' Und noch aus späterer Rückschau urteilen zwei Umwelthistoriker (Kenneth Anders / Frank Uekötter): 'Man darf bezweifeln, ob es den 'Grünen' auch ohne die Waldsterbensdebatte gelungen wäre, im März 1983 mit 5,6 Wählerstimmen zum ersten Mal in den deutschen Bundestag einzuziehen".


Protest gegen das Waldsterben

Die Freiburger Doktorandin Birgit Metzger (Foto) hat dem Thema eine historisch-politische Studie gewidmet, die den Titel trägt: "Das 'Waldsterben' als Politikum in der BRD (1978-1986)". Darin heißt es zusammenfassend: "Insgesamt erlangte der Umweltschutz mit dem Waldsterben eine neuartige, massenhafte Akzeptanz und drang in den gesellschaftlichen Mainstream ein. Maßnahmen zum Schutz der Umwelt fanden nun große Mehrheiten und wurden in bestehende Institutionen integriert. Dieser Prozess lässt sich als 'ökologische Modernisierung' bezeichnen... Zum Beispiel kann die Waldsterbensdiskussion als wichtiger Anschub für die nationale wie internationale Luftreinhaltepolitik gesehen werden."

Metzger weiter: "Anders als etwa die Diskussion um die Kernkraft in den 1970er Jahren, die durch gesellschaftliche Polarisierung gekennzeichnet war, bot das 'Waldsterben' für gesellschaftliche Gruppen vom linken bis zum konservativen Spektrum vielfältige Anknüpfungspunkte."

Ähnlich bewertet dieser Tage, 30 Jahre danach, auch die Presse die Bedeutung der einstigen Debatte. Unter der Überschrift "Heilsame Vision" zitieren die Stuttgarter Nachrichten das Urteil der Waldexpertin Ines Linke, die Gesetze zum Schutz der Wälder seien "Folge einer durchaus plakativen Kampagne von Umweltschützern gewesen, hätten aber die heute stabilere Lage der Wälder bedingt": "Die Angst der Menschen war auf jeden Fall heilsam." Der SWR hat eine Podiumsdiskussion zum Thema "Die Angst vorm toten Baum - Wie hat das Waldsterben unser Umweltbewusstsein geprägt?" gesendet. Die Badische Zeitung beurteilt die einstige Umweltdebatte als "nützlichen Alarmismus". Das Stuttgarter Wochenblatt  nimmt die "Ausstellung über eine der einflussreichsten Umweltdebatten" ebenfalls zum Anlass für die Feststellung, dass "das Waldsterben mehr war als eine ausgebliebene Katastrophe: Es veränderte das Umweltbewusstsein in der Bundesrepublik nachhaltig und setzte einen gesellschaftlichen Prozess in Gang, der bis heute nachwirkt... In ihren Folgen liegt die eigentliche Bedeutung der Waldsterbensdebatte." 

Auch die Stuttgarter Zeitung blickt dieser Tage zurück auf die 80er Jahre: "Obwohl sich die Wälder inzwischen selbst in exponierten Lagen wieder erholen, heißt das noch lange nicht, dass die Wissenschaftler mit ihren Warnungen damals übertrieben hatten - und damit auch nicht die Journalisten, die darüber ausführlich berichteten. Vielmehr war es, wie zuvor schon bei der Gewässerverschmutzung und später beim Ozonloch, die intensive Forschung, die den Ursachen auf die Spur kam: Rauchgase, die ungefiltert aus den Schloten von Kraftwerken und Fabriken in die Luft quollen. Und deren Inhalt - vor allem das darin enthaltene Schwefeldioxid - dann teilweise erst in hunderten Kilometern Entfernung an Orten niederregnete, die bis dahin als Inbegriff einer intakten Natur galten. Dem sauren Chemikaliencocktail hatten die Bäume wie auch der Boden dort wenig entgegenzusetzen." 

Die Zeitung kommt zu dem Schluss: "Es bedarf wenig Fantasie, um sich auszumalen, was passiert wäre, wenn - nach den massiven Warnungen der Wissenschaftler und den entsprechend aufgeregten Berichten in den Medien - die Politiker nicht dem sauren Regen den Kampf angesagt hätten. Und das mit Erfolg: die Entschwefelung der Rauchgase an der Quelle, aber auch kurierende Maßnahmen vor Ort wie die Kalkung von Wäldern haben ihre Wirkung nicht verfehlt: Heute redet niemand mehr vom Waldsterben. Die jährlichen Waldschadensberichte, die inzwischen politisch unverfänglicher Waldzustandsberichte heißen, zeigen jedoch deutlich, dass es nach wie vor viel zu viele kranke Bäume gibt."


Umweltpädagogik

Bürger retten ein "kleines,
aber feine Waldmuseum"


Wingster Museumsleiterin Ingrid Reyelt

19. 3. 2011. Viele Jahre lang hat sich die Wingsterin Ingrid Reyelt ehrenamtlich um das schöne kleine Fachwerkhaus - eine frühere Dorfschule - in ihrer Nachbarschaft gekümmert: Sie hat Schulklassen betreut, die das darin untergebrachte Wingster Waldmuseum besichtigen wollten, und den Kindern notfalls sogar ihre eigene Toilette zur Verfügung gestellt (in dem vom Landkreis jahrelang vernachlässigten Museum gibt's kein WC).

Die schwarzgelbe Kreistagsmehrheit schmiedete unterdessen Pläne, sich des Kostenfaktors Waldmuseum zu entledigen. Zunächst war von Schließung die Rede, bis Kommunen und Organisationen lautstark gegen den geplanten "kulturellen Kahlschlag" protestierten.

Seit diesem Sonnabend scheint die Zukunft des musealen Kleinods vorerst gesichert: 23 Einzelmitglieder sowie die AG Osteland haben im "Restaurant Am Zoo" einen Förderverein gegründet, der den Museumsbetrieb aus dem Händen der Kreisnaturschutzstiftung übernimmt, als deren Vorsitzender Vize-Landrat Claus Götjen dem neuen Vorstand einen Nistkasten "mit flachem Einflugloch" - für Geldspenden - überreichte.


Götjens Nistkasten mit Geldschlitz

Für die Vorstandsarbeit stellte sich in der Versammlung - Leitung: Kreis-Naturschützer Werner Rusch - ein kompetentes Team zur Verfügung: der Wingster Horst Arp als Vorsitzender, der Kräuterpädagoge Holger Buß (Hemmoor) als Vize, der amtierende Kreisjägermeister Ahrend Müller (Lamstedt) als Schriftführer und der Wingster Jugendherbergschef Jens Artinger als Schatzmeister. Beisitzer sind der Biologe Prof. Joachim Schliesske (zugleich Ausstellungswart) und die Wingsterin Karin Jungclaus.


Vorstand und Initiatoren des Vereins

Zu den Gründungsmitgliedern des Fördervereins zählen unter anderem Gerhard Klotz, Vorsitzender der Hadler Jägerschaft, Tina Schlossorsch von der Naturschutzstiftung sowie der langjährige Kreis-Touristiker Uwe Kühne, dem wie seinen Mitstreitern auch daran gelegen ist, dass der Wingst "ein Stück Identität" erhalten bleibt.


Gründungsmitglieder Müller, Klotz, Buß

Als nächstes will der Verein von einem Leipziger Planungsbüro für ca. 25.000 Euro ein neues Konzept für das Museum erarbeiten lassen, das mehr auf Kinder und Jugendliche (aus benachbarten Schulen, dem Schullandheim und der Jugendherberge) zugeschnitten ist und mit dem EU-Gelder eingeworben werden können. Bis zur Neueröffnung, voraussichtlich 2012, soll das Museum weiter in bisheriger Form betrieben werden - betreut, wie gehabt, von der Hausnachbarin Ingrid Reyelt, der als kleines Dankeschön ein Blumenstrauß überreicht wurde. 

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Forschung

"Wenn man die Wälder damals so 
nüchtern betrachtet hätte wie heute..." 

4. 10. 2008. Die Waldsterben-Debatte der 80er Jahre habe zwar die Rolle der Luftschadstoffe über- und andere Faktoren unterbewertet, aber dennoch "auch Gutes" gehabt, zitiert die Märkische Allgemeine den Leiter des Instituts für Waldbau an der Universität Freiburg, Jürgen Bauhus (Foto): Die damals einsetzende Forschung habe "unsere Kenntnisse erheblich erweitert“.Positiv seien auch die Verordnung zur Gasentschwefelung von Kraftwerken und die Kalkung der Wälder gewesen. Zudem hätten die Medienberichte "das Bewusstsein für den nötigen Umbau der Wälder geschaffen“.Man könne sich fragen, "ob all das passiert wäre, wenn man die Vorgänge in den Wäldern damals so nüchtern betrachtet hätte wie heute“.


Kalkausbringung

Der Kampf gegen das Waldsterben
kostet den Staat noch immer Millionen

2. 8. 2008. Mehrere hunderttausend Euro kostet die Forstdüngung per Hubschrauber allein im Raum Stade/Cuxhaven. Nur so läßt sich weiter aufhalten, was vor 25 Jahren erstmals als Waldsterben in Deutschland Schlagzeilen machte. 

Zwischen Elbe und Weser litten die Wälder spürbar unter Vitalitätsverlust, meldet die Niederelbe-Zeitung (NEZ) in einem Bericht über eine Waldkalkungsaktion in der Samtgemeinde Börde Lamstedt. Zu den Vitalitätsverlusten der dortigen Wälder zitiert das Blatt den Forstoberinspektor Heiko Brunkhorst: "Das ist keine natürliche Entwicklung, sondern kommt durch die sauren Einträge im Niederschlag."

Zwar habe sich mit Filteranlagen und Katalysatoren in der Industrie viel geändert, doch ohne die Bekalkung wären die Bäume deutlich angegriffener. Pro Hektar Wald werden 3,4 Tonnen kohlensaurer Magnesiumkalk ausgebracht. Alle fünf bis zehn Jahre, rate die Forstliche Versuchsanstalt, sollten die Waldstücke gekalkt werden. Die Aktion wird von Bund, Land und EU finanziert. 

Allein in Niedersachsen wurden in den vergangenen 20 Jahren fast 500 000 Hektar Waldfläche gekalkt. "Besonders hohe Säure-Eintragsraten" seien, so die NEZ, "heute in den Gebieten mit intensiver Viehhaltung und Ausbringung von organischen Düngernzu finden": "Besonders betroffen sind laut dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz vor allem der Weser-Ems-Raum und das Elbe-Weser-Dreieck."


Umweltgeschichte

Größter Erfolg der Ökobewegung:
Das Waldsterben wurde gebremst


Protestaktion gegen das Waldsterben (1983)

Als der Regen sauer war: 1983 bewegte das Waldsterben die Deutschen mehr als Aids oder Atombomben. Die Partei der Grünen wurde in den Bundestag gewählt und der Katalysator zur Pflicht - die deutsche Umweltbewegung hatte ihren größten Erfolg erzielt. Seither stagnieren die Baumschäden in der Bundesrepublik - doch 25 Jahre nach dem Öko-Aufbruch scheint sich das wieder zu ändern. 

Der Beitrag von Jochen Bölsche steht auf  SPIEGEL ONLINE.


Waldschäden

"Von einer Verbesserung des 
Zustands kann keine Rede sein"


Kranke Bäume im Bayrischen Wald (Foto: BUND)

Von einer "leichten Erholung" der Wälder spricht die Bundesregierung im Waldzustandsbericht für 2007. Eine eigene Analyse der Waldschäden durch den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kommt Anfang 2008 jedoch zu einem anderen Ergebnis: "Von einer Verbesserung des Waldzustandes kann keine Rede sein." Etwa zwei Drittel des Waldes in Deutschland sind inzwischen sichtbar geschädigt. 25 Prozent der Bäume sind sogar schwer geschädigt, bei ihnen fehlt mehr als ein Viertel der normalen Blatt- bzw. Nadelmasse. Im Vergleich zu 2006 haben sich die Schäden vor allem in Hessen und Sachsen deutlich ausgeweitet. Am meisten getroffen sind Fichten, Buchen und Eichen. 

Hauptursachen der nach wie vor hohen Waldschäden seien giftige Luftschadstoffe, den Boden versauernde Emissionen, die Wirkungen der Treibhausgase und forstwirtschaftliche Fehler. Der BUND bemängelte, dass in den amtlichen Erhebungen der Länder lediglich die noch existierenden Bäume berücksichtigt und im Jahresverlauf entfernte nicht einbezogen worden seien. 

Zudem würden Sturm-, Hitze-, Trockenheits- und Insektenschäden als „Naturereignisse“ eingestuft und in den offiziellen Statistiken nur unzureichend berücksichtigt. 

Die Umweltorganisation kritisierte auch, dass auf Länderebene vielfach hilflos gegen die seit Jahren hohen Waldschäden agiert werde. Um den massiven Säureeinträgen aus Landwirtschaft und Verkehr zu begegnen, werde beispielsweise der Waldboden in Baden-Württemberg weitflächig gekalkt. In Nordrhein-Westfalen wiederum werde der verstärkte Holzeinschlag als Mittel gegen Waldschäden propagiert.

Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND, erklärt: „Die Bundesregierung muss ihre Anstrengungen vervielfachen, um eine waldverträgliche Agrar-, Verkehrs- und Energiepolitik zu entwickeln. Wenn nur noch ein Drittel der Bäume keine sichtbaren Schäden aufweist, bedeutet das nicht, dass sie gesund sind. Viele Schäden sind mit bloßem Auge nicht erkennbar und zeigen sich erst später. Bedrohlich sind vor allem die hohen Emissionen giftiger Stickoxide und von Ammoniak. Sie belasten die Waldböden weiter, gefährden das Grundwasser und verursachen steigende Ozonbelastungen.“

Aufgrund seiner Rolle als Kohlendioxidspeicher spiele der Wald außerdem eine tragende Rolle beim Klimaschutz. Jährlich speicherten Deutschlands Wälder rund 70 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Deshalb sei ein stärkeres Engagement für den Schutz der Wälder dringend erforderlich, sagt Helmut Klein, Waldexperte des BUND.

Mehr auf der Website des BUND.


Verantwortlich: Jochen Bölsche, Fährstraße 3, 21756 Osten, boelsche@gmx.de
Zitate

Ex-UBA-Präsident Troge

Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes (1995 - 2009, in der "Süddeutschen":

"Das Waldsterben kam nur deshalb nicht, weil wir gerade noch rechtzeitig reagiert haben."


Schweiz

Wälder unter
Dauerstress

"Stickstoff wirkt in Böden und Gewässern wie Dünger und führt zu sauren Böden. Die Belastung durch Ozon führt zu Blatt- und Nadelschäden im Wald. Die Kronenverlichtung der Waldbäume hat seit den 80er-Jahren zugenommen und variierte in den vergangenen Jahren stark. Obwohl nicht mehr von einem Waldsterben gesprochen wird, stehen die Wälder unter dauerndem Stress, der sie verletzlicher gegenüber Krankheiten und meteorologischen Extremereignissen macht."

Quelle: Schweizerisches Bundesamt für Umwelt (BAfU).



 
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