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China

Saurer Regen
außer Kontrolle

Deutschland hat den Sauren Regen bezwungen. Doch in China lässt die Luftverschmutzung heute über den Städten immer mehr Sauren Regen (Acid Rain) niedergehen. 

Die Situation ist außer Kontrolle. Mehr auf SPIEGEL ONLINE.


Fachblatt "Acid Rain"

US-Forscher haben gemessen, dass an manchen Tagen ein Viertel der Verunreinigungen in der Luft über Los Angeles aus China stammt. Saurer Regen, den Schwefelemissionen und Asche aus chinesischen Kraftwerken verursachen, geht auch in Japan und Korea nieder. Und in China selbst verseuche er fast ein Viertel des gesamten Landes, berichtet das Magazin "Geo" (11/2007). 

Nach gemeinsamen Berechnungen von Weltbank und dem chinesischen Umwelt- sowie dem chinesischen Gesundheitsministerium sterben jährlich rund 650 000 Chinesen "vorzeitig" an den Folgen der Luftverschmutzung (und weitere 60000 an verunreinigtem Wasser). 

Diese Zahlen hätten, so "Geo", die chinesischen Auftraggeber der Erhebungen aufgeschreckt: "Im Juni 2007 setzten sie bei der Weltbank die Streichung der Todesstatistik durch. Als Grund für die Zensur nennen Wissenschaftler, die an den Studien teilgenommen haben, aber anonym bleiben wollen, 'dass die Zahlen soziale Unruhen auslösen könnten'."


Umweltgeschichte

Die Atemluft als
Gratisdeponie

Nach dem Auftauchen "neuartiger Schadbilder in der Natur" berichtete der SPIEGEL am 26.12.1983 unter dem Titel "Der biologische Bumerang kehrt zurück", dass die Luftverschmutzung nicht nur die Waldbäume schädigt, sondern auch die Lungenbäume der Menschen. Auszüge aus dem von Jochen Bölsche verfaßten Beitrag:

Verdrängt wird in Bonn wie andernorts noch immer die Einsicht, daß der Tod der Bäume nur eine der Folgen großflächiger, zunehmender Luftverseuchung ist; einer Vergiftung mit Stoffen, die allerdings, anders als einst die dicken Rußflocken, nur mehr im Ausnahmefall sinnlich wahrnehmbar sind. 

Da ist, vor allem, das farblose Schwefeldioxid, das entsteht, wenn das gelbe Gift Schwefel verbrennt. Jeder Schüler im siebten Schuljahr weiß, was entsteht, wenn dieses Gas sich mit Wasser verbindet: Schwefelsäure. Und er kann ermessen, was geschieht, wenn aus westdeutschen Kraftfahrzeugen und Kaminen jährlich 3,5 Millionen Tonnen Schwefeldioxid emporquellen und sich zu einem Großteil mit Regen und Nebeltröpfchen verbinden - oder, tückischer noch, mit jener Flüssigkeit, mit deren Hilfe die Nasen- und Rachenschleimhaut den Menschen vor Atemwegserkrankungen schützen. 

Welche Bedeutung der Säuregrad, der pH-Wert, von Luft und Wasser für das irdische Leben hat - auch das steht im Lehrbuch: "Viele lebenswichtige Prozesse verlaufen innerhalb bestimmter pH-Grenzen." 

Dessen ungeachtet hat die Bundesregierung 1974 und erneut 1983 Vorschriften erlassen, die es gestatten, die Atemluft als Gratis-Deponie für Schwefeldioxid und andere säurebildende Gase zu benutzen - sofern sie nur, mittels superhoher Schornsteine, fein verteilt werden. 

Jahr für Jahr rieselt auf Westdeutschland noch immer die schier unvorstellbare Menge von 450 000 Tonnen Schwefelsäure hernieder. Dazu kommen, vorwiegend als Folgeprodukt von Autoabgasen, 280 000 Tonnen Salpetersäure - alles mit behördlicher Billigung. Nur ökologische Analphabeten sind imstande, einen so tiefen Einschnitt in die komplexen Netze der Natur zu gestatten. 

Noch ist das volle Ausmaß der Konsequenzen nicht ins Bewußtsein der Nation gedrungen - vielleicht, weil es gewohnte Denk-Dimensionen sprengt: 

In 500 Millionen Jahren irdischer Evolution haben alle Lebewesen dieses Planeten sich Umweltbedingungen angepaßt, die wesentlich durch den Umstand geprägt waren, daß Regenwasser einen Säurewert um pH 5,6 hatte, wie Niederschläge früherer Jahrhunderte, konserviert im grönländischen Eis, belegen. 

Seit Beginn der Industrialisierung jedoch, gleichsam binnen eines Sekundenbruchteils des Erdentages, ist auf der pH-Skala der Chemiker (die von 0, extrem sauer, bis 14, extrem alkalisch, reicht) der Mittelwert der Niederschläge in der Bundesrepublik dramatisch abgestürzt: auf 5,2 im Jahre 1965, auf 4,4 im Jahre 1970, mittlerweile auf 4,0. 

Unter Bonns Politikern gibt es viele Gewerkschaftsfunktionäre, Juristen, Ökonomen, jedoch kaum einen Ökologen, Biologen, Chemiker. Daran mag es liegen, daß sich die Brisanz dieser Entwicklung den politischen Entscheidungsträgern bislang kaum mitgeteilt hat. 

Daß sich mit abnehmender pH-Ziffer der Säuregehalt einer Flüssigkeit gleich um jeweils eine Zehnerpotenz erhöht, gehört ebenfalls zum Chemie-Pensum des 7. Schuljahres. Der Regen, der auf Deutschland niedergeht, ist mithin heute mehr als zehnmal, zum Teil mehr als zwanzigmal so sauer wie vor zwanzig Jahren

> Der vollständige Wortlaut des Beitrages steht hier.

Schwefeldioxid

Wie die Deutschen das "gelbe Gift" 
und den Sauren Regen bekämpften

UBA
Schwefeldioxid-Mittelwerte 1985 bis 2004: vergrößern

Diese Schaubilder des Umweltbundesamtes illustrieren einen der größten Erfolge der deutschen Umweltbewegung: Unter dem Druck der Proteste gegen Waldsterben und Luftverschmutzung zwangen die Regierenden die Industrie, ihre Abgase zu entschwefeln. 


Schwefeldioxid-Emissionen nach Quellen: vergrößern

Der Niedergang der umweltvergiftenden DDR-Kraftwerke nach der Wiedervereinigung tat ein Übriges, um die Emission von Schwefeldioxid zu reduzieren.


Meereskunde

Saurer Regen zersetzt Plankton,
Schnecken- und Muschelschalen


Plankton-Skelett (nach Ernst Haeckel)

19. 6. 2008. Es ist nicht nur das Kohlendioxid, das dafür sorgt, dass die Meere immer saurer werden. Ganz massiv beeinträchtigen auch Stickstoff und Schwefel, die mit Abgasen in die Luft gelangen, die Ozeane. Zu diesem Schluss kommt der Ozeanograph Scott Doney von der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts im Wissenschaftsmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). Diesen Effekt hätten Forscher bis jetzt vernachlässigt, meint der Experte. 

Nach Untersuchungen des US-Forschungsschiffs Wecoma, über die am 19. 6. 2008 die FAZ ("Der globalisierte Kalklöser") berichtete, führt versauertes Wasser vor der amerikanischen Pazifikküste dazu, dass die Meeresfauna beeinträchtigt wird. Geschädigt werden könnten beispielsweise die Schalen von lebenden Schnecken und Muscheln. Die Karbonate im Meerwasser, die durch die Versauerung gelöst werden, seien auch für den Skelettbau des Planktons unabdingbar.


Umweltbundesamt

"Der Himmel war düster, in der 
Luft lag ein Hauch von Schwefel"


Robin-Wood-Aktion 1984 für Entschwefelung

Auf seiner Website resümiert das Umweltbundesamt 2008 die Auswirkungen der Bekämpfung des Schwefeldioxids auf Wald und Menschen: "Rauchgeschwärzte Häuser, die frisch gewaschene Wäsche schon auf der Leine wieder schmutzig. Noch vor wenigen Jahrzehnten war das im westdeutschen Ruhrgebiet und der ostdeutschen Region um Leipzig Realität. Unzählige Schornsteine stießen fortwährend Ruß und Rauch aus, der Himmel war düster und in der Luft lag ein Hauch Schwefel.

Schwefeldioxid-Ausstoß verringerte
das Lebensalter der Bevölkerung

Der tonnenweise Ausstoß von Schwefeldioxid führte zu Atemwegserkrankungen und verringerte das Lebensalter der Bevölkerung. Bauwerke bröckelten, Sandsteinplastiken wurden zerstört. Die Pflanzen der Region trugen nicht nur Schäden davon – durch den niedergehenden „Sauren Regen“ starben die Wälder regelrecht.

Die noch vor einigen Jahrzehnten starke Verschmutzung der Luft in Deutschland durch Schwefeldioxid ist inzwischen Geschichte. Hierfür sind nicht allein die grundlegenden strukturellen Veränderungen in diesen einstigen Problemgebieten verantwortlich. Gezielte Maßnahmen zur Verringerung der Belastung wie die Festsetzung strenger Schadstoffgrenzwerte, die Einführung von Rauchgasentschwefelungsanlagen und der Einsatz schwefelarmer Treibstoffe haben entscheidend zur Verbesserung der Luftqualität beigetragen. Nicht nur im "Ruhrpott“, auch im Osten Deutschlands ist der Himmel heute wieder blau.

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Belastung der Luft durch Schwefeldioxid deutlich zurückgegangen. Im westlichen Teil der Bundesrepublik verminderte sich die Schwefeldioxidkonzentration in der Luft bereits seit der Mitte der 80er Jahre, im östlichen Teil sank die Belastung nach der Wiedervereinigung deutlich.

Die zum Schutze der menschlichen Gesundheit festgelegten Immissionsgrenzwerte der Europäischen Regelungen werden in Deutschland weit unterschritten." Quelle: UBA.


Umweltpolitik

Die Lektionen der achtziger Jahre
wirken nach bis in die Gegenwart

In der Zeitschrift "natur & kosmos" (11/2003) blickte der Umwelt-Journalist Manfred Kriener zurück auf die zwei Jahrzehnte zuvor begonnene Wald-Debatte. Auszug: 

"In den 80er-Jahren erhielten die Zukunftsängste eine materielle Grundlage. Die Katastrophe war keine eingebildete Krankheit, sondern Realität...

Vielen Natur- und Urnweltkämpfern waren die Maßnahmen der Kohl-Ära zu lasch. Tatsächlich waren etwa die TA Luft oder die Großfeuerungsanlagenverordnung mit erheblichen Schlupflöchern und großzügigen Fristen für die Industrie verwässert. Doch langfristig haben diese Gesetze Luft, Wasser und Böden erheblich entgiftet. Innerhalb von zehn Jahren ging der Ausstoß von Schwefeldioxid von vier Millionen auf knapp eine Million Tonnen zurück...

Auf eine lange Phase der Scheinmaßnahmen und der Verleugnung der Umweltgefahren folgte unter dem Druck von Bürgerprotesten und Katastrophen eine aktivere Umweltpolitik. Als Brennpunkt erwies sich dabei die Komplexkrankheit Waldsterben, für die viele Ursachen ins Fadenkreuz rückten. Ebenso breit gestreut war die Gefahrenabwehr, die gleichzeitig die Dreckschleudern der Energiekonzerne, aber auch das Auto, Chemie und Landwirtschaft aufs Korn nahm. 

So wurden die 80er Jahre zum Jahrzehnt von Katalysator und Entschwefelungsanlagen. Neue Chemikalien- und Luftreinhaltegesetze passierten den Bundestag. Sicherheitsvorschriften wurden verschärft, saurer Regen, Stickoxide und Methangas bekämpft.

Die großen Lektionen dieses Dezenniums wirken noch weit ins 21. Jahrhundert nach. Der sterbende Wald ist am Ende doch nicht gestorben. Aber nicht, weil er sowieso nur eine Erfindung grüner Spinner war. Sondern weil die Öko-Bewegung durchsetzen konnte, dass Gift und Umweltstress reduziert wurden."


Umweltpolitik

Deutschlands Vergangenheit -
Chinas Umweltzukunft?

Über Luftverschmutzung und Sauren Regen in China schreibt Prof. Dr. Michael Bohnet, ehemaliges Mitglied des chinesischen Umweltbeirats, in der FAZ vom 26. Mai 2008:

"Die Urnweltverhältnisse in China sind ... bedrückend: 31 der 50 Städte weltweit, die am stärksten unter Luftverschmutzung leiden, liegen in China. Erkrankungen der Atemwege, allen voran Lungenkrebs, haben an Häufigkeit alle anderen Krankheiten überflügelt. Wesentliche Ursache für die Luftverschmutzung ist der Einsatz von Kohle zum Zweck der Energieversorgung. China ist der weltweit größte Emittent von Schwefeldioxid. Eine weitere Quelle sind die Autoabgase, insbesondere die Stickoxide. Auf einem Drittel des chinesischen Territoriums geht als Folge der Emissionen von Schwefeldioxid und Stickoxiden saurer Regen nieder.

Bei den CO2-Emissionen steht China weltweit an zweiter Stelle hinter den Vereinigten Staaten. Nach aktuellen Berechnungen könnte es schon in diesem Jahr an die Spitze rücken. Das Klima in China liegt im Trend der globalen Veränderungen. Man erwartet langfristig ein vollständiges Abschmelzen der tibetischen Gletscher und stärkere Taifune. China ist sowohl Verursacher als auch Opfer der Klimaveränderung.


 

Umweltgeschichte

"Erst der Wald, 
dann der Mensch"


SPIEGEL-Buch (1984)

Der Zusammenhang zwischen Luftvergiftung, Waldschäden und Atemwegserkrankungen (vor allem bei Kleinkindern) war 1983/84 Thema von Veröffentlichungen im SPIEGEL, die in mehrere von Jochen Bölsche herausgegebene SPIEGEL-Büchern wie etwa "Das gelbe Gift" einflossen. Die Texte sind heute auch online zugänglich:

> Wenn der Wald stirbt, stirbt der Mensch

> Auch die Bronchialbäume sterben

> Schlagende Wetter - auch über Tage


Gesellschaft

"Den Nerv 
getroffen"

Die Süddeutsche Zeitung resümierte Renate Ell am 12. 12. 2003 Ergebnisse von 20 Jahren Walddebatte und Waldpolitik: "Nie zuvor und nie wieder danach hat ein Umweltthema derart den Nerv der Gesellschaft getroffen. ... Wenn der Zustand des deutschen Waldes auch beunruhigend ist: Die Horrorvisionen von vor 20 Jahren sind nicht eingetreten. Waren die Warnungen also übertrieben

"Wir haben immer nach Standorten differenziert, und in den Hochlagen des Harzes sind die Wälder tatsächlich gestorben", sagt der Göttinger Bodenkundler Bernhard Ulrich, der als ein Entdecker des Waldsterbens in Deutschland gilt. "Außerdem habe ich gesagt: Wenn wir handeln, dann können wir die Geschichte auch wenden."

Gehandelt wurde - wenn auch spät. Noch bis Ende der 70er-Jahre kannte man in Deutschland nur "Rauchschäden" in direkter Nachbarschaft zu Industrieanlagen. Anders in Schweden: Dort hatte der Bodenkundler Svante Oden schon 1967 Alarm geschlagen, weil Seen durch Schwefelsäure aus den Industrieschloten Mitteleuropas und Großbritanniens versauerten. Fünf Jahre später brachte Stockholm das Thema auf die internationale Bühne. Doch die Bundesregierung trat bei den Verhandlungen über das erste rechtlich bindende UN-Umweltschutz-Abkommen (die Konvention über grenzüberschreitenden Ferntransport von Luftschadstoffen) als Bremser auf. 

Die Deutschen wurden erst auf das Waldsterben aufmerksam, als Förster Mitte der 70er-Jahre in Schwarzwald und Bayerischem Wald ratlos vor kranken Tannen standen. Damals entdeckte Bernhard Ulrich zudem in einem Wald im Solling Schadstoffe - fernab von Industrie und Autobahnen.

Im November 1981 veröffentlichte der Spiegel seine dreiteilige Titelgeschichte "Saurer Regen über Deutschland - Der Wald stirbt" und brachte das Thema in die Öffentlichkeit. Bei den nächsten UN-Verhandlungen im selben Jahr unterstützte das nunmehr selbst betroffene Deutschland engagiert Luftreinhaltemaßnahmen. Nach dem Bruch der sozial-liberalen Koalition 1982 setzte der neue Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) die Großfeuerungsanlagen-Verordnung durch, die das Wirtschaftsministerium zuvor verhindert hatte. ...

Die Erfolge sind leicht zu messen: Seit 1980 haben die Schwefeldioxid-Emissionen von 7,5 Millionen auf 650 000 Tonnen im Jahr 2001 abgenommen; die Stickoxid-Emissionen, die zum Großteil aus dem Verkehr stammen, sanken nicht ganz so stark: von knapp 3,8 Millionen Tonnen 1987 auf 1,6 Millionen Tonnen 2001. 

Heute ist der Stickstoff das Hauptproblem, und der kommt in Form von Ammoniak zu einem Drittel aus lange übersehenen Quellen: aus Ställen und von gedüngten Feldern. Die Emissionen sind seit 1991 praktisch nicht gesunken.



 
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