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Waldsterben

Totgesagte
leben länger

Seit der Klimawandel dem Kontinent immer mehr Winterstürme und Sommerdürren beschert, taucht das von manchem schon beerdigt geglaubte Wort "Waldsterben" nun plötzlich wieder auf. 

Während Orkane wie "Kyrill" und Borkenkäfer im Frühjahr 2007 süd- und westdeutsche Nadelwälder großflächig niedermachten, schwante der "FAZ", der Klimawandel könne die maladen Forsten derart schwächen, "dass es zu vermehrtem Waldsterben kommen kann". Totgesagte leben länger - das scheint auch für das Waldsterben zu gelten. 

Die "Frankfurter Rundschau" schrieb: "Waldsterben geht weiter." Und aus Baden-Württemberg meldete die "Stuttgarter Zeitung": "Das Waldsterben lässt sich im ganzen Land registrieren."


Pressestimmen

Meist muss der
Wald herhalten

Die Monatszeitschrift natur & kosmos (2/2003) kommentierte: "Das Robert-Koch-Instituts (hat) seit 1985 zum dritten Mal rund 5000 Personen auf Schadstoffe untersucht - mit dem klaren Ergebnis: ... Die Arsen-, Blei-, Cadmium- und Quecksilberwerte haben erfreulich abgenommen. 

... Die Belastungen gingen klar nachvollziehbar überall dort zurück, wo gehandelt wurde. Blei verschwand aus Benzin und damit aus dem Blut... Nun kommt es aber in letzter Zeit immer häufiger vor, dass derlei gute Nachrichten benützt wercten, um gegen Umweltschützer Stimmung zu machen: "Seht her, alles gar nicht so schlimm! Was haben die Ökos bloß?" 

Meistens muss dann noch der Wald als Beispiel herhalten. Weil er noch immer grün ist, hätten doch alle, die in den 80-ern vor dem Waldsterben gewarnt haben, Unrecht gehabt. Sie werden als Panikmacher diffamiert. Als ewige Pessimisten. Als falsche Propheten

Aber warum ist der Wald denn nicht gestorben? Rufen wir uns die Chronologie der Ereignisse noch einmal kurz ins Gedächtnis: Erst war der Regen sauer und die Nadeln wurden gelb, dann kam der Protest der Umweltschützer, danach hat die Politik gehandelt (TA Luft, Abgasnormen) - und schließlich konnten die Bäume aufatmen. 

Das ist die frohe Botschaft! Allen Verharmlosern zum Trotz, die im Nachhinein die Mahner diffamieren. Denn nur weil sie rechtzeitig gewarnt haben, ist das Prophezeite nicht eingetreten.


Industrie sperrte
die Inserate

Die Neue Zürcher Zeitung am Sonntag (4. 3. 2007) blickt zurück: "Die Vorstellung, dass ganze Waldregionen zusammenbrechen könnten, war in den achtziger Jahren nicht einfach auszuschliessen: Die Fachleute extrapolierten ihre Daten in die nähere Zukunft. Und so kam es zu Prognosen wie jener von Bernhard Ulrich 1982 an der Tagung in Rüschlikon: 'Die ersten grossen Wälder werden schon in den nächsten fünf Jahren sterben.' Die Forstfachleute mochten das nicht ausschliessen. Und die Förster fühlten sich endlich ernst genommen mit ihren Warnungen....

Bürgerlicherseits kam die Befürchtung auf, dass hinter dem Schild ökologischer Argumente Systemveränderer am Werk seien. Die Tatsache, dass der Eiserne Vorhang unerschütterlich dastand, verhärtete die Diskussion. Ökologie und Ökonomie schienen unvereinbar. Jede naturwissenschaftliche Äusserung wurde sofort ins politische Gefecht getragen. Die Automobilbranche bestrafte forsche Kommentierung des Waldsterbens mit Inseratesperre." 


Treffende 
Beschreibung

Aus der Süddeutschen Zeitung (24. 1. 2006): "Das so genannte Waldsterben war seinerzeit eine treffende Beschreibung der Realität, soweit sie sich auf großflächige, regionale Gebiete bezog, in denen vor allem das Schwefeldioxid aus den Schornsteinen der Industrie verheerende Wirkungen hatte. Dass es dann allgemein nicht so schlimm gekommen ist, ist zu einem Teil der entschlossenen Eindämmung dieses Schadstoffs zu danken. Darüber hinaus hat sich aber auch gezeigt, dass Existenz und Gesundheit der Wälder auf komplexen Systemen beruhen, denen mit monokausalen Erklärungsmodellen nicht beizukommen ist. Und dass die gängige Einstufung der Schäden allein nach dem Zustand der Baumkronen noch kein Todesurteil sein muss."
Diskurs

Die Klimakatastrophe belebt den
Meinungsstreit ums Waldsterben


Berliner Sozialdemokrat Sigmar Gabriel

Sie nennen sich Ökoskeptiker. Klimapolitisch (und zumeist auch außenpolitisch) treten sie als Parteigänger von US-Präsident George W. Bush auf, in der Wirtschaftspolitik steuern sie neoliberalen Kurs

Zur Klimakatastrophe - deren Existenz sie bestreiten - bedient sich die publizistische Gruppe der Ökoleugner eines eher kurzschlüssigen als schlüssigen Argumentationsmusters: Dass den Klimaforschern nicht zu trauen sei, zeige das von Wissenschaftlern prognostizierte so genannte Waldsterben. Beweis: Die Wälder existierten schließlich noch. Ausgespart werden Hinweise auf die Milliarden-Investitionen für Filter, Katalysatoren und großflächige Waldkalkung per Hubschrauber.

Öko-Politiker wie Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) wiederum führen die Bekämpfung des Waldsterbens als Beleg dafür an, dass vorbeugende Politik passende Antworten auf Zukunftsfragen wie den Klimawandel finden kann. 

Das Thema Waldsterben habe man in den Griff bekommen, weil Filter für Industrie und Autos der Übersäuerung der Böden entgegengewirkt hätten, sagte Gabriel dem "Oberbayerisches Volksblatt" (16. 1. 2008): "Wir reden heute nicht mehr vom Waldsterben, weil wir das Problem technologisch lösen konnten." 


Ökoleugner

Im Volk ein breiter Konsens vom 
Malocher bis zum Waldläufer

Die Volksbewegung gegen das Waldsterben, die  in den achtziger Jahren wie kaum ein anderes Thema Menschen jeglicher Couleur einte und so die Regierung zu einschneidenden Öko-Gesetzen zwang, versetzte der Industrie-Lobby die bis dahin größte Niederlage

In Österreich bestraften Autokonzerne "forsche Kommentierung des Waldsterbens mit Inseratesperre" (siehe linke Spalte), in Deutschland zogen Industriesprecher wie BMW-Chef Eberhard von Kuenheim die Auswirkungen von Luftschadstoffen in Zweifel und machten Front gegen schärfere Abgasvorschriften - etwa in einem sehr kontrovers geführten SPIEGEL-Gespräch (Heft 37/1983), das hier online nachzulesen ist. 

Vergebens waren am Ende auch alle Bemühungen der Kohle-Lobby, mit Hilfe von Gewerkschaften und SPD-Politikern aus dem Kohlenpott die Sozialdemokraten gegen die Umweltpolitik in Stellung zu bringen. Der breite Konsens in der Bevölkerung - "vom Malocher bis zum Waldläufer" - verurteilte auch diese Strategie zum Scheitern.

Erst anderthalb Jahrzehnte nach dem Beginn der Wald-Debatte - mittlerweile war die komplizierte Immissionschutzpolitik der 80-er Jahre in der Öffentlichkeit weithin in Vergessenheit geraten - trat die Randgruppe der "Ökoskeptiker" auf, die das Waldsterben als Hirngespinst von Naturschützern abtaten und mit ihrer Beobachtung "Die Wälder sind grün" vor allem in solchen Medien Resonanz fanden, die auch den Klimakurs der US-Regierung und von Industrieverbänden unterstützten. 

Sorge um den Wald geißelten Mitglieder dieser Strömung als "morbide Orgie deutschen Gesinnungskitsches". Die Ökoleugner verbinde eine "kaum gezügelte Wut auf jene, die Anfang der achtziger Jahre den Alarm lautstark ausgelöst hatten", urteilte damald der SPIEGEL (Heft 46/1996, Wortlaut hier).


Umweltpolitik

"Das Waldsterben ist zurück-
gegangen, aber nicht von alleine"

Zum Themenkomplex Waldsterben, Klimawandel und Energieknappheit hat sich die österreichische Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb im April 2008 in einem Interview der Wiener Zeitung geäußert: 

Frage: Es mehren sich die Stimmen, die vor einem hysterischen Öko-Alarmismus warnen. Immerhin haben sich zahlreiche Horrorszenarien – vom Baumsterben über das baldige Ende der Ölvorkommen – nicht bewahrheitet. 

Antwort: Es stimmt, dass das Waldsterben zurückgegangen ist, aber nicht von alleine. Wir haben unsere Emissionen um 80 Prozent gesenkt, bei der Luftreinhaltung ist vor allem in Europa sehr viel geschehen. Und es gab natürlich sehr radikale gesetzliche Maßnahmen, etwa im Bereich der Schadstoffemissionen von Autos und Industrie. Was die Energieknappheit angeht, so sind wir überhaupt nicht über den Berg. 

Grundsätzlich muss man aber unterscheiden zwischen Szenarien, die Wissenschafter unter Fortschreibung der bestehenden Rahmenbedingungen entwerfen, und der Möglichkeit, die Entwicklung durch den Beschluss neuer Rahmenbedingungen zu beeinflussen. Wenn das jetzt geschieht, können die Menschen vielleicht im Jahr 2100 auch sagen, damals handelte es sich um reinen Öko-Alarmismus. Ich hätte nichts dagegen, nur müssten wir jetzt handeln. 


 

Zitate

Troge antwortet
Ökoskeptikern

Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes, im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" (6. 10. 2007) über Lösungen der ökologischen Probleme und Gefahren des Klimawandels:

Troge: Wo immer es möglich war, mit moderner Technik die Umwelt und damit auch die Gesundheit der Menschen zu schützen, hat Deutschland etwas getan. Hätten wir den Katalysator in den 1980er-Jahren nicht eingeführt, müssten wir heute um 75 Prozent weniger Auto fahren, um dieselbe Luftqualität zu erreichen..

Wir haben die Waldschäden noch immer nicht im Griff, es geht dem Wald in Deutschland gleichbleibend schlecht. Die Schäden haben wir zwar stabilisiert, aber das Problem wird sich langfristig gar nicht mehr so einfach lösen lassen. Die Abgase der Vergangenheit, die die Böden versauern lassen, können wir dort nicht herausholen. Wir schleppen sie so als Klotz am Bein mit. 

Durch den Klimawandel könnte sich die Situation der Wälder verschlimmern, denn sie bestehen in Deutschland vor allem aus Fichten. Das sind Flachwurzler, die außerordentlich sensibel auf Hitze und Trockenheit reagieren.

Süddeutsche Zeitung: Dabei ist doch gerade der Wald, der ja offensichtlich nicht gestorben ist, eines der Hauptargumente der Klimaskeptiker.

Troge: Genau denen, die jetzt sagen, dass die Ökos vor 25 Jahren gerufen haben: "Wenn wir jetzt nicht gleich etwas tun, dann werden wir in zehn Jahren keinen Wald mehr haben!" - und seht doch, der Wald steht ja noch, denen rufe ich zu: Hätten wir nicht die Entstickung und Entschwefelung der Kraftwerke betrieben und dann die Katalysatoren eingeführt, dann wäre diese Prognose eingetreten! Das Waldsterben kam nur deshalb nicht, weil wir gerade noch rechtzeitig reagiert haben. 


Seine These hat 
die Welt verändert

Die Zeit (47/2003) über einen Besuch bei dem Göttinger Professor Bodenkundler Bernhard Ulrich, der als einer der ersten Wissenschaftler vor der Gefahr eines Waldsterbens durch Luftschadstoffe hingewiesen hatte: "Im November (1981) begann der Spiegel eine dreiteilige Serie mit einer Titelgeschichte: "Saurer Regen über Deutschland. Der Wald stirbt." ... Und als die Reporter wissen wollten, wie schlimm es denn nun stünde, da verschärfte Professor Ulrich seine These zu einer Prognose, die sein Leben seither begleitet hat. Er sagte: "Die ersten großen Wälder werden schon in den nächsten fünf Jahren sterben. Sie sind nicht mehr zu retten." ...

Die Sache ist nur: Heute gibt es den Wald ja noch. ... Bereits kurz nachdem sie in die Welt gekommen war, hatte Ulrichs These diese verändert: Im Juni 1983 trat die Großfeuerungsanlagenverordnung in Kraft, und danach nahm der Schwefeldioxid-Ausstoß in Kraftwerken um 90 Prozent ab. Ab Mitte der achtziger Jahre wurden die Waldböden im ganzen Land mit Kalk entsäuert. Und der Katalysator entgiftete die Autoabgase. Die Bäume im deutschen Teil des Erzgebirges haben sich regeneriert, seit nach der Wende die Braunkohlekraftwerke der DDR nachgerüstet oder stillgelegt wurden. 

Da hatte die Schadensstatistik ihren Tiefpunkt erreicht. In den neunziger Jahren sind die Zahlen fast gleich geblieben, und irgendwann war klar, dass der Wald (und der sonntägliche Waldspaziergang) nicht aus Deutschland verschwinden würden.

"Dass man damit nicht mehr rechnen musste, hängt auch mit den Maßnahmen zusammen, die aufgrund unserer Prognosen getroffen wurden," sagt Bernhard Ulrich.



 
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