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Umweltgeschichte

Wie das Waldsterben
zum Thema wurde


SPIEGEL-Titel 47/1981

Der SPIEGEL-Titel "Der Wald stirbt", Auftakt einer dreiteiligen Serie "Das stille Sterben" (47-49/1981), alarmierte 1981 die Nation. 

Die daraufhin einsetzende breite Debatte über die Luftreinhaltung mündete in diverse Umweltgesetze, die letztlich dazu beitrugen, dass das damals befürchtete großflächigen Waldsterben gebremst werden konnte. 

Über das Zustandekommen der Titelgeschichte, die nach Experten-Urteil bewirkt hat, daß die Problematik "in das allgemeine Bewußtsein kam" (so die Landesanstalt für Immissionsschutz in NRW) gab das Editorial von SPIEGEL 47/1981 Auskunft (Wortlaut hier). 

> Das stille Sterben (I)

> Das stille Sterben (II)

> Das stille Sterben (III)


Wissenschaft

Schriller Alarm
mit Folgen

Der Waldforscher und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Joachim Radkau (Foto) analysiert die Auswirkungen des SPIEGEL-Titels "Der Wald stirbt - Saurer Regen über Deutschland" (Heft 47/1981 vom 16. 11. 1981): 

"Vor allem dieser Titel markiert den medialen Start des großen 'Waldsterben'-Alarms. Am 25. Dezember 198, sinnigerweise zu Weihnachten, folgte die erste große  Reportage der 'Zeit': 'Oh Tannenbaum, wo sind deine Blätter?', die den SPIEGEL in der Folgezeit in Sachen 'Waldsterben'" an Eifer noch übertraf.

Die Waldklage, die alte romantische Traditionen reaktivierte, machte in der Geschichte des deutschen Umweltbewußtseins Epoche: Hatte bis dahin der Atomkonflikt eher spaltend gewirkt und das Umweltbewußtsein zum Erkennungszeichen einer neuen Linken gemacht, so ließ der Alarm um den Wald gerade auch konservative Geister nicht ungerührt und übte eine integrative Wirkung aus, die bis zu der neuen Regierung Kohl reichte.

Die damalige Prophezeiung, im Jahr 2000 werde es keinen deutschen Wald mehr geben, hat sich nun freilich, wie wir heute wissen, ganz und gar nicht bewahrheitet, im Gegenteil: Vielerorts hatte der Wald, wohl nicht zuletzt durch Emissionen stimuliert, stärkere Wachstumsraten als zuvor, auch wenn dieses Wachstum ungesunde Züge trug. Das 'Waldsterben', mochte sich der Begriff auch im Öko-offiziellen Schrifttum erstaunlich lange halten, mutierte in den Augen der Spötter zum Inbegriff eines falschen Öko-Alarms, der den Verdacht aufkommen ließ, ob es sich vielleicht mit vielen anderen ökologischen Kassandra-Rufen ähnlich verhielt. 

Auch heute allerdings läßt sich festhalten, daß die Sorge um eine Waldschädigung durch Bodenversauerung auf längere Sicht keineswegs unbegründet ist - nur war sie in der Form eines akuten Katastrophenalarms irreführend. Allerdings: Ohne einen solchen schrillen Alarm hätte schwerlich eine CDU-Regierung so prompt jene Großfeuerungsanlagenverordnung durchgesetzt, die die Schwefeldioxid-Emissionen drastisch verringerte."

Aus: "Scharfe Konturen für das Ozonloch: Zur Öko-Ikonographie der SPIEGEL-Titel"


"Le Waldsterben - 
mehr als eine Gemütskrankheit"

Im Handelsblatt-Blog schreibt Frank Wiebe: "Der deutsche Wald ist so krank wie nie zuvor. Das hat man jetzt amtlich festgestellt. ... Die Franzosen haben 'le Waldsterben' anfangs eher für eine deutsche Gemütskrankheit gehalten. ... Aber wenn die verbreiteten deutschen Laubbäume wie Eiche und Buche starke Schäden aufweisen, dann ist das mehr als eine Gemütskrankheit. Es bleibt also dabei: Energie sparen, weniger autofahren, weniger heizen, besser isolieren usw. - wir wissen das alle, wir müssen es nur tun." Mehr...


Landwirtschaft

Die Kraftwerke sind entschwefelt -
Gülle schädigt weiter den Wald 


Gülle-Transporter: Landwirtschaft kontra Forsten

Es war eine Grünen-Politikerin, Agrarministerin Renate Künast, die 2003 den Wald für gesund erklärte. Ein Jahr später musste sie einräumen, dass es vielen Forsten schlechter gehe denn je. Für eine der Hauptursachen war sie selber zuständig: Luftverschmutzung durch die Landwirtschaft. Eine zweiteilige SPIEGEL-ONLINE-Serie zum Thema Agrarindustrie und Waldschäden aus dem Jahr 2004 ist ím Internet verfügbar:

1. Gülle killt den Wald
2. Förster fürchten Rinderwinde

Bereits 1995 hatten sich Hinweise auf eine Art "zweites Waldsterben" durch Agrar-Emissionen abgezeichnet. SPIEGEL special berichtete unter dem Titel "Ein Schritt vor, einer zurück". Der Text ist online als PDF-Dateiverfügbar. 


Zitat

Gefährliche Säureeinträge
aus der Landwirtschaft

"Seit einigen Jahren werden Säureeinträge in Deutschland und weiten Teilen Europas durch Stickstoffeinträge dominiert. Reduzierte Stickstoffverbindungen (Ammoniak/Ammonium) allein tragen derzeit im nationalen Mittel mehr zur Versauerung von Ökosystemen bei als Schwefel, und gerade in hochbelasteten Gebieten dominiert Ammoniak/Ammonium die Säureeinträge in besonderem Maße. Ammoniak/Ammonium aus der Landwirtschaft (z. B. Intensivtierhaltung) ist somit in Deutschland und in weiten Teilen Europas der wichtigste versauernde und eutrophierende Luftschadstoff. Dieser Trend wird sich angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen fortsetzen."

Quelle: Umweltbundesamt, 2006


Ursachen

Naturschutzbund: "Der Wald ist 
nicht tot, aber er leidet"

Nach rund drei Jahrzehnten Waldsterben-Debatte zieht der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) Bilanz. Unter der Überschrift "Der Wald ist nicht tot, aber er leidet" heißt es im Verbandsorgan "Naturschutz heute": "Unser Wald ist ... immer noch schwer krank. Heute wie damals ist eine Mischung aus natürlichen und menschlichen Einflüssen dafür verantwortlich. Dazu zählen die Pflanzung falscher Baumarten, die vielerorts noch vorherrschenden Monokulturen, die unverändert hohen Belastungen mit Luftschadstoffen aus Verkehr und Landwirtschaft sowie der unbestreitbare Klimawandel. Damit der Wald eine Chance hat, sich auf diese Veränderungen einzustellen und nicht wieder auf das Sterbebett zurück zu sinken, müssen wir diese Belastungen entschieden reduzieren." Voller Wortlaut hier.


Elbe

Waldschäden im Schwarzen Dreieck 
verstärkten die Hochwasser-Risiken

Massiv geschädigt worden sind in den letzten Jahrzehnten die Bergwälder im berüchtigten "Schwarzen Dreieck" zwischen Deutschland, Tschechien und Polen. Damit wurde einer der effektivsten natürlichen Wasserspeicher nachhaltig gestört - mit fatalen Auswirkungen auf die Hochwasserrisiken entlang der Elbe, wie sich im Herbst 2002 zeigte. In einem SPIEGEL-Report "Die Rache der Flüsse" (Wortlaut hier) hieß es dazu:

Solange sie gesund sind, können allein die Kronendächer 30 Prozent der Regenmenge auffangen und verdunsten lassen. 40 Prozent der Niederschläge schlucken Baumwurzeln und Krautschicht, 25 Prozent speichert der Waldboden - gerade mal 5 Prozent der Niederschläge laufen ab. 

"Ein Hektar Wald", resümiert die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, "hält bei günstiger Struktur bis zu zwei Millionen Liter Wasser zurück" - wohlgemerkt: bei günstiger Struktur. 

Doch gerade im Quellgebiet der Elbe und vieler ihrer Zuflüsse, im berüchtigten "Schwarzen Dreieck" zwischen Deutschland, Tschechien und Polen, sind die Forsten jahrzehntelang durch Schwefelabgase aus Industrieschloten nachhaltig geschädigt, teils völlig ruiniert worden. 

Die Bergwälder im Erzgebirge, sagt der Kieler Forstwissenschaftler Ralf Stölting, seien "de facto abgestorben". Als Speicher fallen sie weitgehend aus - mit der Folge, dass die Dynamik des Wasserablaufs in die Elbe nicht mehr so wirkungsvoll gebremst wird wie vor dem Beginn der Waldzerstörung. 

Ähnliche Entwicklungen drohen anderswo. Nachdem das Waldsterben im Westen Deutschlands - nach der Installation von Filtern in Kraftwerken und von Katalysatoren in Automotoren in den achtziger Jahren - schon als nahezu besiegt galt, schlug die Uno-Wirtschaftsorganisation für Europa (ECE) zwei Wochen nach dem Elbhochwasser Alarm. 

Nach einer Phase der Erholung, heißt es im neuesten Europäischen Waldbericht, habe sich der Gesundheitszustand der Bäume aufs Neue verschlechtert. "Geht das Waldsterben wieder los?", fragten Zeitungen wie das "Hamburger Abendblatt". 

Tatsächlich haben erhöhte Stickstoffeinträge, vor allem aus der Landwirtschaft, eine Art zweites Waldsterben eingeleitet - eine Tendenz, die sich bereits Mitte der neunziger Jahre abzeichnete. 

Luftschadstoffe bekämpfen, Bergwälder aufforsten, die Agrarwende fortsetzen - auch solche Ziele gehören mithin in ein nationales Programm zur Hochwasservermeidung. - Weiter...


Geschichte

"Der Begriff Baumsterben war im 
Forstwesen schon lange gebräuchlich"

Die Neue Zürcher Zeitung (1. 9. 2003) urteilt: "Aus heutiger Warte liegt es nahe, das 'Waldsterben' als masslose Übertreibung, als wissenschaftliche Fehlleistung, als Hysterie oder Mythos abzutun. Zieht man allerdings den damaligen Kenntnisstand und die Entstehung von Vorstellungen in Betracht, erscheint vieles wesentlich rationaler. So war der Begriff Baumsterben im Forstwesen gebräuchlich und bezeichnete schon im 19. Jahrhundert lokale Waldschäden im Umkreis luftverschmutzender Industrien. Im Zuge der 'Luftreinhaltepolitik der hohen Schornsteine' nach dem Zweiten Weltkrieg liess sich beobachten, wie lokales Baumsterben in grossflächigeres Siechtum überging

Folglich konnte es, so glaubte man, nur eine Frage der Zunahme der Luftverschmutzung sein, bis ein allgemeines Absterben des Waldes einsetzen würde. Da Laborstudien der siebziger Jahre die Schädigung sensibler Pflanzen durch einzelne Luftschadstoffe ausgewiesen hatten, war es nicht abwegig, sich an der Schwelle zu verbreiteten Schäden zu wähnen.

... Aus Verantwortungsgefühl, um einen politischen Prozess in Gang zu bringen und um Forschungsmittel zu erhalten - an sich legitime Motive -, liessen sich einzelne Sprecher der Wissenschaft (aber) dazu hinreissen, Szenarien zu suggerieren, die nicht durch wissenschaftliche Ergebnisse gestützt waren. Der sensationsorientierte Verlautbarungsjournalismus tat seinen Teil dazu. Den Bürgern und Politikern wurde sozusagen auf die Sprünge geholfen."

Literatur

1982: Ein Buch
rüttelt auf


SPIEGEL-Buch
zum Waldsterben

Die SPIEGEL-Serie "Das stille Sterben" (47-49/1981), die 1981 das Waldserben ins Bewußtsein rückte, war Bestandteil des von Jochen Bölsche herausgegebenen Buches  "Natur ohne Schutz". (ISBN 3499330229). Bölsche war außerdem Herausgeber dreier weiterer SPIEGEL-Bücher zum Thema Natur- und Landschaftsschutz:

> Die deutsche Landschaft stirbt. Zerschnitten, zersiedelt, zerstört. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1983, ISBN 3499330377,

> Was die Erde befällt ... Nach den Wäldern sterben die Böden. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1984, ISBN 3499330563,

> Das Gelbe Gift. Todesursache: Saurer Regen. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1984, ISBN 3499330490. 


Zitate

Debatte
eröffnet

Die "tageszeitung" am 24. Februar 1999 über den SPIEGEL-Titel "Der Wald stirbt" (Nr. 47/1981):

"Sowohl beim Waldsterben als auch beim Treibhauseffekt hatte der SPIEGEL die öffentliche Debatte eröffnet. Im November 1981 griff das Wochenmagazin unter dem Titel 'Der Wald stirbt' die Warnungen von Wissenschaftlern wie dem Bodenkundler Bernhard Ulrich auf, der prophezeite, 'die ersten großen Wälder werden schon in den nächsten fünf Jahren sterben'. Erste Prognosen sind zwangsläufig mit einer gewissen Unsicherheit belastet."


Die Entdeckung
des Waldsterbens

Hausmitteilung in SPIEGEL 1/1994 zum Report "Einmal ist der Eimer voll" (PDF-Datei hier):

"Umweltpolitik, vor zwei Jahrzehnten fast noch ein Fremdwort, ist mittlerweile Gegenstand der Geschichtsschreibung, und der SPIEGEL hat darin seinen Standort. Das jüngst im Beck Verlag erschienene 'Jahrbuch Ökologie 1994' etwa kommt bei der Frage, wie die Klimaprobleme in der Bundesrepublik 'zum Politikum' geworden sind, auf den SPIEGEL-Titel über die Folgen des sauren Regens ("Der Wald stirbt") aus dem Jahre 1981. Dieser Beitrag - Start einer dreiteiligen, später mit etlichen Umweltpreisen bedachten Serie - ist nach dem Urteil im Jahrbuch als die 'Entdeckung des Waldsterbens' zu bewerten."


Waldsterben war
Wahlkampfthema

Anfang 1983 beherrschte das Thema Waldsterben sogar den damaligen Wahlkampf, in dem die Grünen - erfolgreich - für ihren Einzug in den Bundestag stritten. In diesen wochen brüsteten sich sogar jene, die kurz zuvor noch Warnungen vor der drohenden Naturkatastrophe barsch abgetan hatten, in der Öffentlichkeit als Super-Ökologen. Auch der damalige CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann profilierte sich als Waldretter - mit einem Gesetz, dessen damalige Fassung bei genauem Hinsehen das Umweltrecht nicht verschärfte, sondern entschärfte. In Heft 7/1983 veröffentliche der SPIEGEL dazu einen Beitrag mit dem Titel

> Bluff mit Sigma Ypsilon

Gegen Wahlkampf-Bluff in Sachen Waldsterben machte Anfang 1983 eine neue Öko-Gruppe mobil: Robin Wood. Der SPIEGEL berichtete in Heft 9/83 unter dem Titel

> Viel zu spät


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