Kehdingen/Oste

Die Entdeckung
des Backsteins

Hanna Hadler forscht über die Oste-Ziegeleien

13. 6. 2007. Dass sich an der Oste früher Ziegelei an Ziegelei reihte, war lange Zeit fast vergessen. Jetzt scheint es, als ob sich das Osteland seiner reichen Ziegeleigeschichte wieder erinnert. Schriftsteller und Heimatforscher, Wissenschaftler und Touristiker interessieren sich neuerdings verstärkt für die Hinterlassenschaften der "Lehmkonditoren". So hießen die Besitzer der Ziegeleien am Osteufer, deren Produkte per Ewer auf Oste und Elbe nach Hamburg geschippert wurden, wo sie unter anderem beim Bau der Speicherstadt Verwendung fanden.


Restaurierte Lorendeichlücke in Osten

Augenfälliges Zeugnis des neu erwachten Interesses ist die lange Zeit vernachlässigte Lorendeichlücke im Ostedeich in Altendorf. Auf Initiative des Obstbauern und AG-Osteland-Mitglieds Torsten Wichmann und einiger Spender sowie mit Unterstützung des Deichgrafen und Ostener CDU-Ratsherrn Heino Schmidt (ebenfalls AG Osteland) wurde genügend Geld aufgebracht, um den Deichtunnel restaurieren zu können, durch den früher die Loren der Lehmkonditoren rollten - eines der letzten Relikte der blühenden Industrie von anno dazumal.


Osten um 1900: Ziegelei reiht sich an Ziegelei

In Kürze nimmt sich auch die Wissenschaft der Ziegeleien an Oste und Elbe an. Die aus Hemmoor stammende Hanna Hadler will im Rahmen ihres Geographiestudiums an der Universität Marburg im August dieses Jahres eine Diplomarbeit zum Thema "Grundlagen, Geschichte und Auswirkungen des Ziegeleiwesens an der Niederelbe im Raum Kehdingen und Hadeln" beginnen. Unter anderem sollen die Auswirkungen der großräumigen Abziegelung auf die Bodennutzung dargestellt werden.

Die Landschaftszerstörung durch Abziegelung war schon von Zeitgenossen als übles Beispiel für "kapitalistischen Raubbau" angeprangert worden, so 1908 der Hamburger Professor Richard Linde, der auch in farbigen Schilderungen überliefert, wie sich die neureichen Ziegelbauern an Elbe und Oste aufführten: "Ihr Hals hat kaum etwas Weißes gesehen, aber wenn sie den Wertpapierkasten schließen wollen, müssen sie ihn mit dem Knie zustemmen... Daß sie statt der Kegel Sektflaschen aufgestellt, Goldstücke im Tanzsaal ausgestreut haben und einer einen Tausendmarkschein, auf ein Brötchen gelegt, fein zerschnitten in Barbarenhochmut verzehrt habe, kann man noch heute überall erzählen hören."

Behandelt werden soll in der Hadler-Arbeit nicht nur die Ziegeleivergangenheit. Die Geografin wird sich auch mit der möglichen touristischen Nutzung des Themas Ziegelei befassen: "Denkbar wäre hier zum Beispiel das Erstellen einer Broschüre mit Informationen und Übersichtskarte rund um das Thema Ziegeleien oder auch der Entwurf von Schautafeln zum Thema", schreibt sie.


Ziegelei-Förderer Hildebrandt und Ropers

Ansätze dazu gibt es bereits an der Oberen Oste, wo die Museumsziegelei in Bevern (Website) viele Touristen anzieht. Für ihre Verdienste um die Erhaltung und Inwertsetzung der Ziegelei wurden die Osteland-Mitglieder Günther Ropers und Uwe Hildebrandt 2006 mit dem Osteland-Kulturpreis "Goldener Hecht" ausgezeichnet.


Ziegelei-Exkursion der AG Osteland (2005)

Bereits 2005 organisierten Curt Schuster und Udo Theuerkauf für die AG Osteland eine Ganztagestour zum Thema "Die Oste - Fluß der Ziegeleien", bei der unter anderem auch die Heimatforscherin Gisela Tiedemann-Wingst referierte (Bericht über die Exkursion hier).


Kehdinger Ziegelei-Romane

Breites öffentliches Interesse am Ziegeleiwesen haben vor allem die Autoren Elke Loewe und Wilfried Eggers geweckt.

Als "Glanzleistung" feierte die Kritik 2004 Elke Loewes historischen Roman "Simon, der Ziegler"; zur Buchvorstellung zeigte der KunstRaum Hüll eine Ziegel-Ausstellung mit Bildern der dänischen Malerin Mette Ohlson und Fotos des Hemmoorer Fotografen Mike Behrens. Und mit "Ziegelbrand" hat der Drochterser Wilfried Eggers im selben Jahr den ersten Krimi aus dem Kehdinger Ziegelei-Milieu vorgelegt.


Elke Loewe in Gräpel: Ziegel auf dem Tisch

Wie die Ziegelei-Literatur Einheimischen und Touristen präsentiert werden kann, demonstrierte kürzlich die Geografin Corinna Kolf, Vorsitzende des Fähr- und Geschichtsverein Brobergen und Umgebung.

Nachdem Elke Loewe im "Oste-Huus" aus "Simon, der Ziegler" gelesen hatte, servierte Gastronomin Karin Plate im Gasthaus "Zum Osteblick" auf stilvoll dekorierten Tischen ein zünftiges "Ziegler-Essen"nach historischen Rezepten, die der Autor und Maler Wolf-Dietmar Stock - gemeinsam mit Elke Loewe Herausgeber des Osteland-Buches "Die Oste" - zusammengestellt hatte. Menüfolge: "1 Korn zum Anwärmen, Brot mit Schmalz, Pickert (Kartoffelpuffer), Milchreis mit Holundersaft und Zimtzucker, 1 Korn zur Verdauung."

Dazu servierten die Veranstalter den Text des "Pickertliedes", das die lippischen Saisonarbeiter in den Ziegeleien an Oste und Elbe zu ihrem Puffer-Festessen anstimmten. Auszug: "Mancher vornehm reicher Knabe / Schlemmt in Dingen ohne Zahl. / Wenn ich lipp'schen Pickert habe, pfeif' ich auf ein Fürstenmahl. Und ich steh' wie'n Eisenpfahl."


Ziegelei Rüsch: Krimilesung aus "Ziegelbrand"

Einen spannenden Versuch, Ziegelei-Literatur in ein touristisches Programm einzubauen, unternimmt Osteland-Mitglied Sylvia Wolter von der Tourist-Info Kehdingen am Sonntag, 24. Juni: Der "1. Kehdinger Krimi-Erlebnistag" führt von 10 bis 16 Uhr zunächst zur denkmalgeschützten Ringofen-Ziegelei Rusch (Baujahr 1881) in Drochtersen-Ritsch.

In der historischen Ziegelei liest Wilfried Eggers aus seinem Krimi "Ziegelbrand".  Der Roman konfrontiert die Leser unter anderem mit der deutschen Vergangenheit in den 40er Jahren, als junge Polen zur Zwangsarbeit in einer Ziegelei an der Elbe verpflichtet wurden und unter den zynischen Launen des Besitzers zu leiden hatten.


"Ziegelbrand"-Autor Wilfried Eggers

Aufgerollt wird dieses düstere Kapitel deutscher Geschichte von der Romanfigur Peter Schlüter;der als Rechtsanwalt den Auftrag bekommt, eine Entschädigung für einen Zwangsarbeiter einzuklagen. Also macht er sich auf den Weg, Zeugen der damaligen Vorkommnisse aufzustöbern. Und tatsächlich: In einem Altenheim leben einige Menschen, die in verschiedener Weise mit der Vergangenheit in Verbindung stehen...


Restaurierte Ziegeleischleuse in Kehdingen

Beim Imbiß, der sich an die Lesung anschließt, gibt es "Ziegelsteine": überbackene Frikadellen in Ziegelform. Per Pkw geht es anschließend zum alten Ziegelhafen in Barnkrug und schließlich zur Ziegel-Festung Grauerort, die Jahrzehnte einen Dornröschenschlaf gehalten hat. Die Teilnahme kostet 20 Euro. Anmeldung ist bis Freitag, 15. Juni, erforderlich (Tourist-Info Kehdingen, Telefon 04770/ 83 11 29,  E-Mail: info@tourismus-kehdingen.de).


Ziegelei in Osten (um 1900)

Die tourstische Nutzung der Ziegelei-Vergangenheit war bereits Thema im Arbeitskreis Dorferneuerung Osten-Altendorf. Im Protokoll des Arbeitstreffens vom 10. Januar (hier) heißt es dazu, das Thema Ziegelei lasse sich zur Touristenattraktion aufbauen:

"Für diesen Zweck gäbe es auf den Höfen mit Sicherheit einen oder mehrere geeignete Standorte, wobei es nicht darum geht, wieder eine komplette Ziegelei aufzubauen, sondern mit einem kleinen Museum, Exponaten und der Möglichkeit für Besucher, selbst aktiv zu sein, dieses Thema zu einem lokalen Event zu entwickeln. So könnten z.B. die Besucher eigene Ziegel formen und in einem Brennofen brennen. Tagesbesuchern würden ihre persönlichen Ziegel dann auf dem Postwege (gegen eine entsprechende Gebühr) nachgeschickt und könnten so zugleich ein Werbeträger für Osten sein. Ein Beispiel, wie so etwas grundsätzlich organisiert und gestaltet werden könnte, zeigt der Heimatverein Hüll mit seinem Heimathof."


Blick durch die Ostener Ziegelei-Deichlücke

Der Geografin Hadler schweben Info-Tageln und eine Ziegelei-Radtour vor: "Um 'vor Ort' an verschiedenen Stellen über die Ziegeleien zu informieren, ist die Gestaltung von verschiedenen Schautafeln möglich. Diese könnten beispielsweise sein:

>>> Geologie der Region: Hier kann möglichst einfach eine kurze geologische Entstehung der Region seit der letzten Eiszeit gezeigt werden. Der Schwerpunkt sollte jedoch auf der Entwicklung der Marschgebiete an Elbe und Oste liegen.

>>> Ziegeleien I: Hier kann zunächst ein Überblick über die Geschichte der Ziegelindustrie und die Entwicklungen in der Region gegeben werden. Über eine Karte sollte der Leser die Verteilung und die hohe Dichte der Ziegeleien besonders in direkter Nähe zum Flussufer sehen können. So kann auch auf die wirtschaftliche Bedeutung eingegangen werden.

>>> Ziegeleien II: Hier könnte der genaue Ablauf der Ziegelherstellung beschrieben werden, welche Materialien, Methoden etc. verwendet wurden. Möglicherweise kann dies beispielhaft an einer ehemaligen Ziegelei erläutert werden.

>>> Folgen für die Landschaft/ Wandel des Naturraums: Hier könnten die Folgen der Ziegelindustrie dargestellt werden. Fotos der verglichenen Bodenprofile können dies und andere sichtbare Spuren zeigen.

>>> Ziegeleien heute: Diese Tafel sollte abschließend einen Überblick über die heute noch verbliebenen Ziegeleien der Region geben. Ebenso könnte hier auf heute noch sehenswerte Spuren der früheren Ziegelindustrie hingewiesen werden."

Weiter schreibt Hanna Hadler im Exposé ihrer Arbeit: "Um die Informationen möglichst anschaulich und interessant zu gestalten, könnte dem Betrachter neben reinem Text und Bildern etwas 'zum Anfassen' geboten werden. Dies könnten zusammen mit der Tafel installierte alte Ziegel, das Aufstellen der Tafel an einem abgeziegelten Feld oder ähnliches sein. Auf diese Weise würde ein direkter Zusammenhang zwischen dem Gelesenen und den tatsächlichen Geschehnissen geschaffen werden."


Loren im Ziegeleimuseum Bevern

Als einer der Info-Punkte böte sich die restaurierte Loren-Deichlücke an, an der eventuell auch eine historische Lore gezeigt werden könnte. Jedenfalls geben die Vorstellungen von Hanna Hadler schon jetzt Denkanstöße, die Ziegelei-Vergangenheit des Ostelandes für Gegenwart und Zukunft nutzbar zu machen.


www.ostemarsch.de
www.osteland.de


 
 
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