9. September
2007
Tourenleiter Renate Wendt und Harald Sträter
mit Osteland-Vorstandsmitglied Bernd Brauer begrüßen die Teilnehmer
am Bremervörder Osteufer.
Ewer
- Mädchen für
alles
auf der Oste
Von GISELA TIEDEMANN-WINGST
Die Oste war in den Zeiten vor Landstraßen-,
Kanal- und Eisenbahnbau die wichtigste Verkehrsader
in den Marschen des Elbe-Weser-Dreiecks. Wasserfahrzeuge bedeuteten für
die Menschen in den Marschen eine Lebensnotwendigkeit, waren überhaupt
für Handel und Verkehr unabdinglich, und die Schifffahrt bot für
viele Menschen in den Ostedörfern die Möglichkeit zum Erwerb
des Lebensunterhalts, lebten hier doch viele Schiffer und ihre Schifferknechte
mit ihren Familien.
Der Bremervörder Heimatforscher und Erste Stadtrat i. R. Rainer
Brandt (Website)
berichtet über die lokale Werftgeschichte, die keinerlei bauliche
Spuren hinterlassen hat.
Aber nicht nur die Schifffahrt, sondern auch der dazugehörige Schiffsbau hielt viele Menschen in Arbeit und Brot. Entlang der Oste entstanden im Laufe der Zeit viele Schiffswerften, die die typischen Fahrzeuge der Oste und Elbe, die Ewer, je nach ihrer künftigen Aufgabe in unterschiedlichen Ausprägungen in guter handwerklicher Arbeit herstellten.
Ewer kamen ursprünglich aus dem niederländischen Raum und haben Jahrhunderte lang Flüsse und Küstengewässer, später auch die offene See befahren. Der Name "Ewer" bedeutet wahrscheinlich envare, Einfahrer, also ein Schiff, auf dem nur ein Mann fährt. Da die Ewer sich im allgemeinen auf den zur Nordsee fließenden Strömen und in Gewässern mit Ebbe und Flut bewegten, daher auch Fluss- und Wattenschiffe genannt wurden, war es unabdinglich, dass sie in den Häfen und auf den Watten bei Niedrigwasser auf dem Schlickboden zu sitzen kamen. Deshalb besaßen sie einen "Plattbörm", einen platten Boden, auf dem sie relativ ungefährdet die Zeit bis zum Wiedereintritt der Flut, die das nötige Wasser zurückbrachte, verbringen konnten. Diese Fahrzeuge wurden aus Holz gefertigt, benötigten aber auch einen gewissen Anteil an Schmiedearbeit für besonders beanspruchte Partien.
Der kleine Bruder des Ewers war sozusagen der Prahm, ein kleines viereckiges Lastenfahrzeug mit einer Tragfähigkeit bis zu 15 t, ebenfalls aus Holz und auch auf hiesigen Werften hergestellt.
Im 19. Jahrhundert fand der Ewer seine zahlenmäßig größte Verbreitung. Bauzahlen für den Ewer von 1831 bis 1910: 2.008 Ewer. An diesen Herstellungszahlen waren die Werften an der Oste und auch diejenigen in Kehdingen und dem Alten Land neben den Holsteiner Werften stark beteiligt. Genaue Gründungsdaten der frühen Betriebe liegen kaum vor, es ist aber festzustellen, dass einige Familien mehrere Werften gründeten und der Vater das Handwerk an den Sohn weitergab, so dass manche Werften über zwei oder drei Generationen in einer Familie blieben. In Kehdingen gab es um 1850 etwa fünf Schiffszimmereien, während an der Oste bis hinauf nach Osten ungefähr sieben oder acht Werften existierten. Auch oberhalb Ostens gab es noch einige Schiffsbauplätze, aber die Gesamtzahlen sind bisher nicht sicher festzustellen (siehe Kasten am Fuß dieser Seite).
Woher kamen eigentlich die für den Ewerbau benötigten verschiedenen Holzarten? Eichenholz, das in der Hauptsache für die Teile oberhalb der Wasserlinie benutzt wurde, stammte häufig aus Mecklenburg, Kiefernholz für den Schiffsboden aus Ostpreußen und Pommern, aber auch aus Schlesien und Skandinavien. Der Transport des Holzes geschah durch Schiffe oder wurde von Flößern durchgeführt. Da das Holz zum Schiffsbau der Haltbarkeit wegen mehrere Jahre lang gut abgelagert sein musste, kauften die Schiffszimmerer Stämme auf Vorrat, die auf dem werfteigenen Platz bis zu ihrer Verwendung austrockneten und ruhten.
Im Durchschnitt betrugen die Baukosten für einen Ewer 2.100 Mark Cassenmünze. Für die kleinen Werften an der Oste waren etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Zeiten des hölzernen Schiffsbaus vorbei, wenn auch ein Schiffsboden aus Holz auch bei eisernen Ewern zunächst noch eine gewisse Zeit beibehalten wurde. Aber nur die größeren Werften konnten mit der aus den Niederlanden kommenden Entwicklung im Schiffsbau Schritt halten und die immer größer werdenden eisernen Schiffe produzieren. Damit blieb den kleinen örtlichen Betrieben nur noch die Reparatur der allmählich immer weniger werdenden hölzernen Ewer.
Die Torfschifffahrt war in der Regel die Sache der kleineren Ewer, sie beförderten den Torf in die Marschen und die Elborte bis Hamburg und Bremen und brachten es auf 10 bis 15 Reisen im Jahr. Die größeren Ewer gingen auf Küstenfahrt in Nord- und Ostsee bis Pommern, Dänemark und Schweden. Auf dem Rückweg brachten sie häufig Getreide, Steine und anderes wieder mit. Gelegentlich fuhren sie aber auch recht viel weiter, etwa nach Spanien und Südamerika.
Neben Holz und Torf brachten die Ewer viele Ladungen Feldsteine in die steinlose Marsch und wo sie sonst noch gebraucht wurden. Weiteres äußerst wichtiges Transportgut für die Ewerfahrer waren die in den Gebieten an der Oste hergestellten Ziegelsteine, und der Ewer war das Transportmittel der Wahl zwischen Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven und entlang der Nordseeküste.
Um 1880 wurden allein am Elb- und Osteufer jährlich 300 Millionen Ziegelsteine produziert. Wenn ein seetüchtiger Ewer 50.000 kleine Steine transportieren konnte, so brachte das zwar schon einiges an Menge, ein Ewer dieser Größenordnung aber hätte etwa 6.000 Fahrten im Jahr machen müssen, um eine solche Menge nach Hamburg zu schaffen, leisten konnte er jedoch nur zwischen 10 bis 15 Reisen, wie schon erwähnt. Viele kleinere Ewer trugen dazu weit weniger als die Hälfte mit etwa 16.000 Steinen. Der Bedarf an Steinewern war damit um die Mitte des 19. Jahrhunderts recht beträchtlich. Ein großer Steinewer konnte damals nach mündlicher Auskunft von Mauerleuten etwa die Steine für zwei kleine Häuser transportieren.
In einer Aufstellung verunglückter Schiffe aus den Jahren 1872 bis 1889 sind weitere Transportgüter genannt: Kalksteine, Getreide, Rum und Zucker, Knochenasche, Kokosnuss, Guano, Felsen, Streichhölzer, Eisenbahnschienen. Diese Waren stammten größtenteils aus Übersee, aber auch für den inländischen Handel gab es viel zu verschiffen: Raps, Stroh und Vieh aus den Marschen, Muscheln aus dem Watt für die Kalkbrennereien, Stackbusch von der Geest für den Uferschutz, Stückgüter, Lebensmittel, Gemüse und vieles andere mehr. Für alle diese Waren war der Schiffstyp des plattbodigen Ewers, der bei Ebbe in aufrechter Stellung trockenfallen konnte und sich so bequem beladen ließ, in tideabhängigen Gewässern als Transportmittel das "Mädchen für alles".
Eine andere leider inoffizielle und sich mehr im Dunklen abspielende Einnahmequelle der Schiffer soll hier nicht verschwiegen werden: der Schmuggel. Geschmuggelt wurden bis zur Zollunion Eisenwaren, Kaffee, Zucker, Kandis, Wein, Rum, Rosinen, Korinthen, Tuche aus Baumwolle und rauher Wolle und vieles andere mehr.
Zu jeder Werft gehörte mindestens eine Helling, das ist die Vorrichtung, mit der die Schiffe aus dem Wasser an Land gezogen werden. Sie bestand aus einem Unterteil und einem Schlitten, beides meistens aus Eichenholz. Das Unterteil, bestehend aus einem starken Balken, ragte wie eine schiefe Ebene aus dem Wasser bis zum Arbeitsplatz. Damit der Schlitten, der das Schiff an Land transportierte, gut auf der konkav gestalteten Oberfläche des Balkens gleiten konnte, musste der Balken reichlich mit Talg oder grüner Seife eingeschmiert werden. Das erklärt den großen Verbrauch der Werften an diesen Produkten. Mit einer Winde zog man zunächst mit menschlicher Kraft, später mit einem Motor das auf dem Schlitten befestigte Schiff aufs Trockene.
Im Durchschnitt erreichten die Ewer eine Lebensdauer von etwa 30 Jahren, konnten bei guter Pflege aber auch erheblich älter werden. Hans Szymanski berichtet von einem Ewer, der noch mit 81 Jahren fahrtüchtig war. Da ein guter Boden aus Kiefernholz eine Lebensdauer von etwa 100 Jahren besaß, während die übrigen Teile viel früher vergingen, hat man mehrfach auf einen alten Boden einen neuen Ewer gezimmert. Solche Ewer konnten ebenfalls ein hohes Alter erreichen.
Arbeitsbedingungen auf einer Werft: Die Arbeitszeit dauert im Sommer von morgens 6 Uhr bis abends 7 Uhr und mindert dann mit Kürzerwerden der Tage in wöchentlichen Abstufungen, in halben und vollen Stunden ab, bis etwa zum 22. November, die Arbeitszeit ist dann von morgens 7 1/2 Uhr bis abends 4 1/2 Uhr, bis etwa zum 18. Januar, von wo an die Arbeitszeit dann ebenfalls in wöchentlichen Abstufungen von halben bis vollen Stunden verlängert wird, bis die Sommerarbeitszeit von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends erreicht ist. Überarbeiten von Einzelnen und allen Arbeitnehmern ist gestattet.
Mittagspause war jeweils eine Stunde, Frühstück eine halbe, im Winter nur eine Viertelstunde, im Sommer gab es nachmittags eine viertelstündige Vesperpause, die aber im Winter entfiel. Wenn in den Wintermonaten resp. in kurzen Tagen reichlich Arbeit vorahnden ist, kann die Arbeitszeit bei Licht auch von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends ausgedehnt werden ...
Bei schlechtem regnerischem Wetter müssen Arbeiter, welche ihre Arbeit im Freien haben, zu Hause gehen; falls nicht von Arbeitgebern andere passende Arbeit angewiesen wird. Als Voraussetzung für den Beginn eines Arbeitsverhältnisses wurde von der Werftleitung gefordert, dass der Arbeiter ordentlich, reinlich und verträglich sei und die ihm aufgetragenen Arbeiten gewissenhaft verrichtet. Auch ein sittlicher Lebenswandel war erwünscht; ... das Rauchen ist auf der Werft, sowie in allen Räumlichkeiten verboten. Betrunkene werden ausgewiesen, im Wiederholungsfall entlassen.
In der Lohnzahlung spiegelte sich die Rangfolge der einzelnen Berufsgruppen auf der Werft wider, sie erfolgte wöchentlich von Sonnabend nach Feierabend und zwar in folgender Weise: 1. die Schiffszimmerer, 2. die Tischler, 3. die Schmiede, 4. die Eisenarbeiter. In jeder Abteilung bezieht sich dies der Reihenfolge nach auf das Dienstalter. Während die Schiffszimmerer und Tischler sich einen Teil ihres Werkzeuges selbst herstellten und in ihrem Eigentum behielten, mussten die Eisenarbeiter ihr Handwerkszeug von der Werft kaufen (1 Hammer 1 M 60 Pf sowie Schraubenschlüssel, Reißnadel, Feilen, Meißel und Dorn). Dies Handwerkszeug nahm die Werft nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurück, wobei die jeweilige Summe zurückgezahlt wurde - großzügigerweise ungeachtet des Verschleißes. Der Zollstock jedoch wurde nicht retour genommen.
Zum Schluss noch dies: "Von allen auf der Werft beschäftigten Personen wird erwartet, dass sie nach besten Kräften zum Wohl der Werft und ihrer Einrichtung beitragen und sich die Erhaltung und Förderung der guten Sitte, sowie der Ehre und des guten Namens angelegen sein lassen."
Größer
könnte der
Kontrast
kaum sein
Bootsbau in der Hatecke-Werft
Größer könnte der Kontrast zu den historischen Oste-Werften
nicht sein: Bei einem Abstecher an die Elbe - wo im Fährhaus Wischhafen
(Website)
der köstliche Matjes probiert wurde - wird in Krautsand die hochmoderne
Hatecke-Werft (Website)
besichtigt.
Die über 100 Jahre alte Traditionsfirma hat sich zum Weltmarktführer
im Segment freifallende Rettungsboote entwickelt. Die knallorangefarbenen
"fliegenden Boote" werden in unterschiedlichen Größen produziert.
Angefangen hatte die Ernst Hatecke GmbH 1903 mit der Reparatur von
kleinen Küstenschiffen. Heute produziert das Unternehmen mit seinen
120 Mitarbeitern 500 Rettungsboote und 150 Aussetzvorrichtungen pro Jahr.
Vertriebschef Arne Nagel (Foto) und der Produktionsleiter Bootsbau,
Thomas Breuer, führen durch die Werkshallen.
Aus Glasfasermatten und Kunstharz entstehen die Rohlinge. Etwa 600
Arbeitsstunden dauert die Herstellung der kompletten Einheit.
Arne Nagel erläutert die Produktionsabläufe, bei denen
auf Arbeitsqualität ebenso wie auf Arbeitsschutz geachtet wird.
Nach der Endmontage erinnern die Rettungsboote eher an U-Boote als
an Beiboote.
Die fertigen Produkte stehen zum Export bereit. Die Freifallboote
gelten als praktisch unsinkbar.
Hauptabsatzmarkt ist Asien, dort vor allem China, das Zentrum des
Weltschiffbaus.
Dieses Hatecke-Werkfoto zeigt die Funktionsweise der Freifall-Boote.
Im Notfall stürzen sie aus bis zu 20 Metern Höhe vom Schiff ins
Wasser.
Für
www.osteland.de
fotografierten
Karl-Heinz Brinkmann
und Jochen Bölsche
.