Der Flußname Oste
Prof. Dr. Jürgen Udolph
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Die Deutung eines geographischen Namens hat in jedem
Fall auf den älteren Belegen des Objektes aufzubauen. Für die
Oste
sind
diese Belege an anderer Stelle ausführlich vorgestellt worden[1].
Hier nur ein Auszug daraus:
- Flußname Oste
786 (F. 12. Jh.) ad Hostam ... iterum Ostam
788 (Fälschung 1. Hälfte 12.Jh.) ab
Osta ... Ostam
(um 1075) (Adam v. Bremen) Ostam (2mal),
ab Osta
1184 (Kopie 13.Jh.) Hostia flumen 1230 Oste 1325 ab Ostam, ab Osta 14. Jh.over
der Osten 1375 iuxta Ostam 1389 to der Osten 1401 Osta um 1500 aver der Osten, an de Osten, ad Oestam 1568 Os 1684 Oste, an der Osten um 1695 die Oste, den Osten Strohm 1743 Oste 1816 Oste
Mit dem Namen der Oste sind zu verbinden:
Gauname Ostinggau
9.Jh. in Hostingabi
- Ortsname Osten
1219 (Personenname) de Oste (mehrfach)
um 1236 de Oste
1274 dictus de Ost
1305 Augustinus de Oste 1378 to der Osten 1434 van der Osten 1726 Osten, Oste
Betrachtet man sich diese Belege etwas genauer,
so fällt auf, daß gelegentlich der Name auch mit H-
anlautet,
Hostam,
Hostia, Hostingabi.
Die Forschung kennt derartige Erscheinungen und
sieht darin eine Tendenz des Alt- und Mittelniederdeutschen, eine Schreibung
mit anlautendem Vokal zu vermeiden. So wird u.a. auch geschrieben Hosterhusen,
Hosterheim für Osterhusen, Osterheim.
Bei der Deutung des
Namens kann dieses anlautende H- außer Acht bleiben, man hat
von Osta o.ä., nicht von Hosta, auszugehen.
Die Überlieferungsreihe sowohl des Gewässernamens
wie die des Ortsnamens macht auch deutlich, daß beiden im Laufe der
Geschichte ein �n- hinzugewachsen ist: gegenüber älterem
Osta,
Oste erscheint in jüngeren Belegen Osten, to der Osten, von
der Osten, Formen, die heute noch im Ortsnamen Osten und in
dem Namen der bekannten Familie von der Osten fortleben. Zu den
�n-haltigen
Formen heißt es bei A. C. Förste[3]:
�Die Namensform von der Osten ist alt und
stammt aus der Zeit, als man den Namen des Dorfes und Kirchspiels Osten
noch
mit dem bestimmten Artikel sprach (z.B. ... um 1500 deme Dorppe to de
Oesten, in deme Kerspell to der Osten). Im Spätmittelalter spielt
sich der allmähliche Übergang von der Ortsnamenform mit bestimmtem
Artikel (to der Osten) zu der heutigen artikellosen Form (in/zu
Osten) ab ... Fest steht, daß sich ... die Namensform
van
der Osten stets auf das Dorf Osten bezog, nicht auf den Fluß
(der aber dem Dorf den Namen gegeben hat) ...�.
Der Gauname 9.Jh. in Hostingabi ist zusammengesetzt
aus dem Gewässernamen Oste + -ing- + gawja �Gau�[4].
Bevor man eine Deutung versucht, ist es unerläßlich
zu prüfen, wie der Name bisher erklärt worden ist. Die Durchsicht
der Vorschläge führt dazu, daß fast allgemein ein Zusammenhang
mit der Himmelsrichtung Ost, Osten angenommen wurde.
Wie oben schon angedeutet, wird eine Verbindung
mit dt. Ost, Osten �Himmelsrichtung� favorisiert. Diese Erklärung
ist aber nur dann möglich, wenn es sich um ein sogenanntes Kompositum
handelt, genauer: um eine Verbindung aus Ost �Ost(en)� + germ. -aha
�Wasser,
Fluß�. Das Grundwort �aha ist ein in deutschen Gewässernamen
sehr beliebtes Element, das in Süddeutschland im allgemeinen als �ach
begegnet
(Steinach, Lindach, Gartach), in Norddeutschland zumeist als �a,
oft aber auch schon abgeschwächt als
�e (Grone
bei
Göttingen, 929 Gronaa,
976
Gruona, 1146 Grune).
Bei der frühen Bezeugung der Oste kann
man Hinweise auf �aha erwarten, diese liegen in den Belegen aber
nicht vor. Da nun kein sicherer Hinweis auf -aha zu erkennen ist,
ist das deutliche Zögern, ob diese Etymologie wirklich richtig ist,
gut verständlich. Es spricht alles dafür, daß für
den Flußnamen nicht von einem Ansatz *Ost-aha auszugehen ist,
sondern von *Osta. Dieser für den Laien vielleicht unerhebliche
Unterschied ist für die Deutung eines Gewässernamens elementar
wichtig: man hat wohl von einer ursprünglichen Bildung *Ost-a oder
*Os-ta
auszugehen
und damit fällt die Möglichkeit, die Himmelsrichtung
Ost(en)
in Betracht zu ziehen. Man muß einen anderen Weg gehen.
Es empfiehlt sich, nach ähnlichen
Gewässernamen zu suchen. Um dieses zu tun, muß man wissen, daß
der Name Oste erst durch niederdeutschen Mund gegangen ist und das
anlautende O- unterschiedlicher Herkunft sein kann. Ohne alle Einzelheiten
ausführlich darzulegen, muß man mit hoher Wahrscheinlichkeit
von einer zunächst westgermanischen Form *Austa ausgehen. Ein
Gewässernamenforscher wird bei einer derartigen Grundform sofort an
ganz ähnliche Namen erinnert, die samt und sonders eine Basis *Aus-
verlangen.
Hier seien die wichtigsten genannt, sie entstammen Untersuchungen von H.
Krahe[9],
A. Greule[10],
J. Udolph[11]
u.a.:
*Ausa,
Fluß
z. Adriatischen Meer (bei Rimini), = Ap(r)usa.
*Ausa,
jetzt
Hozain,
Nfl. d. Seine im Dép. Aube, 754 Ausa,
1236
Osa usw.,
dazu in der Nähe Ozerain, 1269 Oserain,
<
*Osere
< *Ausara.
*Ausa
in:
Oosbach,
l.z. Murg ®
Rhein, mit ON. Oos,
seit 9.Jahrhundert Osa, später auch
Ose.
*Ausa oder *Ausava, vielleicht auch *Aus-owª,in: Oos(bach), r. Nfl. z. Kyll ® Mosel, ON. Ausava (Tab. Peut.). *Ausa > Oze, Zufluß d. Brenne, Côte-d�Or. *Ausava in: Ausoba (Gen.; lies Ausaoua), Fluß an der Westküste Irlands, Ptol. Ausoba potamou ekbolai. Ausenna,
jetzt
Senna,
Fluß in der Provinz Perugia (Toscana), 714
Ausenna, Ausinna. *Ausana oder *Ausena im Ortsnamen Osnabrück[12]. *Ausent- in Ausente, Nfl. d. Ofanto (Italien), auch in Ausente, Nfl. d. Garigliano (Italien). Mit dem Suffix -antia sind ebenfalls gebildet Ozance ® Indre, Dép. Indre, und Ozance ® Loire, Dép. Allier. Weiter gehören hierher Auser, r. Nfl. d. Arno in Etrurien, Plinius u.a. Auser, auch Ausur, Aisar; Ausona, Fluß in Gallien, in pago Lemovicino, 631 in fluvio Ausonae; *Aus-ona in Osann am Oestelbach, um a. 1100 [a. 1008?] de Osanna; Ozanne, Fluß im Dép. Eure-et-Loir, Zufluß d. Loir, 1080 Osanna; Ouzon, mehrere Flüsse in Frankreich.
Mit diesem Material wird
eine Basis *Aus- sehr wahrscheinlich, aber zugleich die Möglichkeit,
daß diese Namen aus einer Einzelsprache erklärt werden können,
unwahrscheinlich, oder, mit anderen Worten, diese Namen können weder
aus dem Germanischen, noch aus dem Keltischen, Lateinischen oder einer
anderen indogermanischen Sprache erklärt werden. Wir stoßen
mit dieser weit gestreuten Gewässernamensippe in einen Bereich, der
zum Hauptgegenstand der Forschungen von H. Krahe gehört hat. Dieser
hat sich sehr intensiv mit Gewässernamen befaßt und ist letztlich
zu dem Schluß gekommen, daß sich in weiten Teilen Europas eine
Schicht von Namen nachweisen läßt, die aus einer frühen
Zeit der indogermanischen Sprachen stammen müssen[13].
Die Theorie wurde von seinem Schüler W.P. Schmid entscheidend weiterentwickelt[14].
Dabei stellte H. Krahe
zu der Bedeutung der alten Gewässernamen u.a. fest: �Hinsichtlich
der Semasiologie und Etymologie geht die urtümliche und zweifellos
älteste Namenschicht von sog. �Wasserwörtern� aus, das heißt
von Bezeichnungen für �(fließendes) Wasser�, �Quelle�, �Bach�,
�Fluß� (bzw. �fließen�), �(Wasser-)Lauf� (bzw. �laufen�) u.
dgl., mit zahllosen feineren und feinsten Bedeutungsschattierungen, wie
sie dem frühen Menschen bei seiner genauen Naturbeobachtung in reichem
Maße zu Gebote standen ...�.
Wenn man Gewässernamen
deutet, so sucht man heute in erster Linie nach Wörtern für �Fluß�,
�fließen�, �Bach�, �Strom� usw. usf.Für
die Sippe um Ausa, Oos usw. hat H. Krahe auf eine indogermanische
Wortsippe um *av- (au-) �Quelle, Flußlauf�, auch �Wasser,
Nässe, Kot�, hingewiesen, wobei aus einem Ansatz *Av-s-a ein
Ausa
werden
mußte. Diese Sippe ist zu vermuten u.a. in:
altind. aváni-
�Lauf,
Bett eines Flusses, Strom, Fluß�, avatáh �Brunnen�,
lett. avuots �Quelle�, altnord. aurr �Wasser, Nässe,
Kot�, altenglisch e-ar �Woge, Meer�, griech. an-auros �ohne
Wasser, wasserlos� (demnach aur- = �Wasser�).
Bei seinen Untersuchungen
entdeckte H. Krahe, daß von einer indogermanischen Basis (einer Wurzel)
aus verschiedene Elemente (Suffixe) hinzutraten. Er machte Reihen wie
Ala - Alona - Alent-/Alantas/Aland
- Alara � Alava, oder
Ara - Arona - Arento/Arantia
- Araros/Arura - Arva wahrscheinlich und fügte Ausa und
die verwandten Namen zu einer Reihe
Ausa - Ausona - Ausente/Ausunda
- Auser � Ausava zusammen.
In einer Tabelle führte er die in seinen Untersuchungen gefundenen Namen zusammen ![]() und erkannte, daß
von einem darin enthaltenen Namen nun wiederum Ableitungen gebildet werden
konnten[15].
![]() Auf diesen Tabellen wird zunächst Ausa gewonnen als �s-Ableitung zu Ava und dient seinerseits als Basis für Aus-ava, Aus-ona, Aus-eros, Aus-ent-/Aus-und-. Wie man sieht, ist die letzte Spalte, die für �t-Ableitungen vorgesehen ist, ohne Eintrag. Hier nun kann bedenkenlos die Oste aus einer Vorform *Aus-ta eingefügt werden.
Das bedeutet für den Flußnamen Oste: 1.) Der Name gehört der sogenannten alteuropäischen Hydronymie an. 2.) Er kann aus keiner indogermanischen Einzelsprache, auch nicht aus dem Germanischen, erklärt werden. 3.) Er gehört in einen größeren Zusammenhang und zu Gewässernamen wie Hozain, Oos(bach), Oze, Ausente, Osna- (in Osnabrück), Ozance, Auser u.a., die zu einer indogermanischen Wurzel *av-/<*au- �Quelle, Wasserlauf� gestellt werden können. 4.) Die Bedeutung dieser Gewässernamen ist relativ einfach, letztlich geht es auf �Fluß, Wasserlauf� zurück. Unklar bleibt uns vielfach noch die Verwendung der unterschiedlichen Suffixe �nt-, -r-, -t- (wie bei Oste). 5.) Der Name ist relativ alt und muß spätestens ca. 1000 v. Chr. entstanden sein. 6.) Zu dieser Zeit existierte das, was wir �germanisch� nennen, noch nicht. Er gehört daher in die Zeit vor Herausbildung der indogermanischen Einzelsprachen und entstammt offenbar einer Sprache, aus der sich später das Germanische, Keltische, Lateinische, Slavische, Baltische u.a.m. herausgebildet haben. [1]
Zuflüsse zur unteren Elbe (von Seege und Stecknitz bis zur Mündung),
bearb. v. J. Udolph (= Hydronymia Germaniae, Reihe A, Lfg. 16), Stuttgart
1990, S. 259-262; jetzt auch im Internet zugänglich: http://www.niederelbe.de/osten/hydronymia.htm.
[2]
R. Möller, Niedersächsische Siedlungsnamen und Flurnamen in Zeugnissen
vor dem Jahre 1200. Eingliedrige Namen, Heidelberg 1979, S. 128.
[3]
A.C. Förste, Die Ministerialen der Grafschaft Stade im Jahre 1219
und ihre Familien. Stade 1975, S. 22, Anm. 51.
[4]
P.v. Polenz, Landschafts- und Bezirksnamen im frühmittelalterlichen
Deutschland. I. Namentypen und Grundwortschatz, Marburg 1961, S. 65; A.
Hofmeister, Besiedlung und Verfassung der Stader Elbmarschen im Mittelalter,
Teil I, Hildesheim 1978, S. 184.
[5]
F. Witt, Beiträge zur Kenntnis der Flußnamen Nordwestdeutschlands,
Phil. Diss. Kiel 1912, S. 202.
[6]
E. Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 2: Orts- und sonstige geographische
Namen, 1. Hälfte, Bonn 1913, Sp. 274.
[7]
Orts- und Flurnamen. In: O. und Th. Benecke, Lüneburger Heimatbuch,
Bd. 2, 2. Aufl., Bremen 1925, S. 105.
[8]
Niedersächsische Siedlungsnamen und Flurnamen in Zeugnissen vor dem
Jahre 1200. Eingliedrige Namen, Heidelberg 1979, S. 111.
[9]
H. Krahe, Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden 1964, S. 44;
H. Krahe, Die Struktur der alteuropäischen Hydronymie. Mainz-Wiesbaden
1963, S. 36; H. Krahe, Der Flußname Ausa und sein Zubehör, in:
Beiträge zur Namenforschung 12(1961), S. 152-155.
[10]
Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge16(1981),
S. 61.
[11]
J. Udolph, Ortsnamen des Osnabrücker Raumes, in: Rom, Germanien und
die Ausgrabungen von Kalkriese, Osnabrück 1999, S. 527-581, hier:
S. 564ff.
[12]
Ausführlich dazu: J. Udolph, Ortsnamen des Osnabrücker Raumes,
in: Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese, Osnabrück 1999,
S. 527-581, hier: S. 564ff.
[13]
Ausführlich erläutert in der Aufsatzreihe �Alteuropäische
Flußnamen� (Beiträge zur Namenforschung, Bd. 1-16, Heidelberg
1949/50 � 1956); H. Krahe, Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden
1964; H. Krahe, Die Struktur der alteuropäischen Hydronymie. Mainz-Wiesbaden
1963.
[14]
Zusammengefaßt inW.P.
Schmid, Linguisticae Scientiae Collectanea. Ausgewählte Schriften,
Berlin - New York 1994.
[15]
Tabellen aus: H. Krahe, Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden
1964, zwischen S. 62 u. 63.
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