Wiederansiedlung der Störe in Nord- und Ostsee
Hintergrundinformationen (Stand 2012)
Rückgang und Perspektive
Der Stör ist ein lebendes Fossil. Seine prähistorischen Spuren
reichen 200 Mio. Jahre zurück bis in die Zeit der Dinosaurier. Von
den weltweit 27 Arten sind heute alle gefährdet oder vom Aussterben
bedroht. Der Stör war bis Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiger
Bestandteil der Lebensgemeinschaft der Flüsse Norddeutschlands. Durch
die umfassende Umweltverschmutzung und Gewässerverbauung, die in Folge
der industriellen Revolution stattfand, wurden seine Lebensgrundlagen weitgehend
zerstört. Drastische Überfischung besiegelte das Schicksal der
Art bis zum Anfang des 20. Jh. In Deutschland kam der letzte Störbestand
bis 1969 in der Eider vor. Seitdem gilt die Art als verschollen oder ausgestorben.
Die Ursachen, die zum Niedergang der Störe führten, zerstörten
auch die Lebensgrundlagen anderer Wanderfischbestände, die unter den
gleichen Eingriffen zu leiden hatten. Lachs, Meerforelle, Schnäpel,
Maifisch, Finte aber auch viele andere typischen Arten der Fließgewässerfauna
wurden so an den Rand des Aussterbens getrieben.
Mit der deutschen Vereinigung und der damit einhergehenden Verbesserung
der Wasserqualität der Flüsse ergab sich erstmals eine Möglichkeit
zur aktiven Arterhaltung und Wiederansiedlung der Störe. Seit 1994
widmet sich die Gesellschaft zur Rettung des Störs e.V. der Planung
und Koordination dieser Aufgabe. Seit 1996 unterstützen das Bundesamt
für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie das Bundesministerium für
Bildung und Forschung dieses Vorhaben fachlich und finanziell. So wurden
die Voraussetzungen geschaffen, dass Wissenschaftler am Berliner Leibniz-Institut
für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), in Zusammenarbeit
mit der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern
(LFA-MV) und anderen Forschungseinrichtungen, wichtige Vorarbeiten für
eine Erhaltung der genetischen Vielfalt und eine erfolgreiche Wiederansiedlung
der Art in Deutschland realisieren konnten.
Primäres Ziel des Vorhabens ist es, zur Arterhaltung eines der
historisch bedeutendsten Wanderfische Deutschlands beizutragen. So sollen
wieder selbst-reproduzierende Bestände der beiden historisch im Einzugsgebiet
der Nord- und Ostsee vorkommenden Arten in Oder und Elbe aufgebaut werden.
Zudem sollen die Arbeiten zur Wiederansiedlung auch als Mittel zur Verbesserung
der Lebensgrundlagen der Tiere in den von ihnen bewohnten Ökosystemen
dienen; z.B. durch integriertes Gewässereinzugsgebietsmanagement mit
den Zielen einer Redynamisierung und Verbesserung der Strukturvielfalt.
Der Stör hat hier durch die Vielzahl der von ihm genutzten Lebensräume
auch eine Funktion als Wegbereiter für andere Arten mit ähnlichen
Ansprüchen an den Lebensraum.
Der Stör ist ein Wanderfisch, der zum Laichen bis weit in die
Flüsse aufsteigt, wo er in stark strömendem Wasser auf kiesig-steinigen
Grund seine Eier ablegt. Jedes Weibchen legt zwischen 1.000.000 und 2.500.000
kleine, dunkelgraue, klebrige Eier, die von den Männchen besamt werden.
Die Eier kleben an den Steinen fest, hier schlüpfen die Larven, die
sich zwischen den Kieseln verstecken, bis der Dottervorrat aufgezehrt ist.
Die fressfähige Brut wird mit der Strömung in die Flussabschnitte
verdriftet, in denen hohe Futteraufkommen für gute Lebensbedingungen
sorgen. Die Jungfische wandern dann in Richtung der Flussmündung,
wo sie sich bis zu 4 Jahre im Brackwasser aufhalten, bevor sie ins Meer
auswandern. Nach ca. 10-20 Jahren kommen die geschlechtsreifen Tiere mit
mindestens 1,2 m (Männchen) bis 1,5 m (Weibchen) in die Flüsse
zurück, um zu laichen. Der europäische Stör erreicht ein
Alter von über 60 Jahren und eine maximale Größe von über
4 m.
Genetische Bestimmung der Eignung verschiedener Herkünfte des
A. sturio für den Besatz in deutschen Flüssen
Historisch umfasst das Verbreitungsgebiet alle europäischen Küsten,
Laichplätze existierten in allen großen europäischen Flüssen.
Aufgrund ausgedehnter Futterwanderungen während der marinen Phase
sind das derzeitige Verbreitungsgebiet und der aktuelle Bestand schwer
zu erfassen. Eine natürliche Fortpflanzung wurde letztmalig 1995 im
Gironde-Einzugsgebiet registriert.
Aufgrund der Anpassung von Arten an ihren jeweiligen Lebensraum müssen
Tiere, die ausgewildert werden, sich auch für diesen Lebensraum �eignen�.
Da A. sturio historisch sehr verschiedene, geographisch getrennte Populationen
einschloss, von denen einige auch als eigene Arten interpretiert werden,
war die genetische Analyse und Beschreibung dieser Populationen anhand
von Museumsproben und rezentem Material ein wichtiger Teilaspekt des Vorhabens.
Hierdurch sollten Entscheidungshilfen für die Auswahl des geeigneten
Besatzmaterials gewonnen werden.
Die genetischen Analysen haben gezeigt, dass die letzten noch lebenden
A. sturio aus der Gironde genetisch praktisch identisch mit den Fischen
aus der Nordsee sind. Für die Elbe und den Rhein ist daher der Besatz
mit dem Nachwuchs der am IGB befindlichen europäischen Atlantischen
Störs A. sturio aus der Gironde eine optimale Möglichkeit.
Die ehemals in der Ostsee vorkommenden Störe unterscheiden sich
genetisch wie im Aussehen von denen der Nordsee. Sie sind die Nachfahren
des vor ca. 1000 Jahren eingewanderten Art, des Amerikanischen Atlantischen
Störs, Acipenser oxyrinchus (Nature, 419, 447-448). Die Form der Besiedelung
und deren Auswirkungen auf die Arten werden weiter untersucht, um mögliche
Auswirkungen der Besiedelungsgeschichte auf das Management des Besatzes
abzuschätzen. Innerhalb der nordamerikanischen Populationen dieser
Art sind die genetischen Unterschiede größer als zwischen dem
Ostseestör und den genetisch sehr ähnlichen Verwandten aus kanadischen
Flüssen. Folglich kann geeignetes Besatzmaterial für die Oder
nur von Fischen aus dem St. Lawrence Fluss und dem St. John Fluss in Kanada
stammen.
Aufbau eines Elterntierbestandes
Für die Nachzucht der zwei Störarten ist es unabdingbar, einen
Bestand an Elterntieren verfügbar zu haben. Aufgrund der neuen genetischen
Erkenntnisse zur Herkunft der Störe in Nord- und Ostsee werden derzeit
Elterntierbestände für die Vermehrung und Besatzproduktion aufgebaut.
Für den A. oxyrinchus wird neben der Aufzucht von künstlich vermehrten
Jungfischen derzeit in Zusammenarbeit mit kanadischen Wissenschaftlern,
Instituten und Behörden die Auswahl und Überführung genetisch
geeigneter Elternfische vorbereitet.
Für den A. sturio wurden im Rahmen der Zusammenarbeit mit der
französischen Forschungseinrichtung CEMAGREF im Jahr 1996 Tiere aus
kontrollierter Nachzucht an das IGB gebracht. Die 12 Tiere sind zurzeit,
neben einem in der Nordsee gefangenen Fisch, der im Aquarium Helgoland
gehalten wird, die einzigen laichreifen A. sturio, die es in Deutschland
gibt. Versuche diesen Bestand durch Fische aus der Fischerei zu erweitern,
waren bislang erfolglos. Aus Nachzuchten wurde der Bestand aber seit 2007
ergänzt, so dass der zukünftige Elterntierbestand bereits ca
500 Tiere umfasst.
Im Rahmen laufender Vorhaben werden grundlegende Fragestellungen zur
Geschlechtsreifung und deren Steuerung bei Stören in kontrollierter
Haltung untersucht. Hier gilt es insbesondere die Einflussfaktoren auf
die hormonelle Regulation der Reifung zu bestimmen und somit eine effiziente
Vermehrung sicherzustellen. Ziel ist es auch, eine Optimierung der Haltungsbedingungen
für Laichfische zu erreichen.
Untersuchungen der potentiellen Lebensräume für frühe
Entwicklungsstadien
Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Wiederansiedlung
ist die Verfügbarkeit intakter Laichplätze in den drei potentiell
für die Wiederansiedlung vorgesehenen Flüssen Oder, Elbe und
Rhein oder ihren Nebengewässern. Im Rahmen der laufenden Arbeiten
wurden bislang an der Oder und ihren Zuflüssen die historisch aus
Literaturangaben belegten Laichplätze überprüft. Bei weitgehender
Übereinstimmung der verfügbaren Angaben mit den aus wissenschaftlichen
Publikationen abgeleiteten Kriterien für einen Störlaichplatz,
wurde eine videooptische Kartierung durchgeführt und die Substrateignung
bestimmt. Nach dem bisherigen Kenntnisstand eignen sich von den Gewässern
des Odereinzugsgebietes einige Abschnitte prinzipiell als Laichplätze.
Einige Abschnitte bedürfen noch einer Renaturierung. Insbesondere
die Nährstoffbelastung der polnischen Oderzuflüsse stellt die
größte Einschränkung bezüglich der Qualität der
Laichplätze dar. In der Mittelelbe konnte das Vorkommen von Kiesbänken,
die potentiell als Laichsubstrat dienen, bestätigt werden. Historisch
bekannte Laichplätze in anderen Flussabschnitten und Zuflüssen
sollen noch bestimmt werden. Für den Rhein zeigt eine bisher unveröffentlichte
Studie, dass potentielle Laichplätze im Bereich des deutschen Niederrheins
verfügbar sind.
Entwicklung alternativer Fischereitechniken
Um den Beifang von Stören in der kommerziellen Fischerei möglichst zu minimieren, werden Fangversuche zur Weiterentwicklung von Stellnetzen für die Küstenfischerei durchgeführt. Hierbei gilt es, neben dem minimalen Beifang von Stören insbesondere den optimalen Fang an Zielfischen (Zander und Barsch) in der kommerziellen Stellnetzfischerei im Stettiner Haff zu sichern. Die Versuche zur Fängigkeit und Selektivität von modifizierten Fanggeräten werden im deutschen Teil des Stettiner Haffs durchgeführt. Zu diesem Zweck werden Versuche in Zusammenarbeit mit der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern mit den verschiedenen Netztypen und Maschenweiten realisiert. Bei den ersten Versuchen in Teichen zeigte sich bereits, dass der Beifang von Stören durch einfache Veränderungen an den Netzen vollständig unterbunden werden konnte. In den derzeit laufenden Versuchen wird die Effektivität der veränderten Netze für Fang von Zander und Barsch überprüft. Die bislang vorliegenden ersten Ergebnisse wiesen auf eine viel versprechende Effizienz bezüglich der Zielfischfänge hin.
Erste Besatzmaßnahmen
Im Mai 2007 wurden die ersten markierten und zum Teil mit Sendern versehenen
Jungstöre in die Oder eingesetzt. Diese Besatzmaßnahmen, wurden
seitdem mit ca. 200.000 Tieren fortgesetzt. Sie sind Teil der Untersuchungen
zum Wanderverhalten und der Habitatnutzung der Tiere im Odergebiet. Hierbei
soll das Potenzial der Region für den Aufbau eines Störbestandes
bestimmt werden. Im Rahmen eines Monitorings werden zudem Risikofaktoren
für das Überleben der Jungtiere identifiziert. Die Ergebnisse
dieser Untersuchungen werden die Grundlage für das Management eines
möglichen, nachfolgenden Massenbesatzes schaffen.
Im Nordseeeinzugsgebiet wurde ein erster Versuchsbesatz im Einzugsgebiet
der Elbe am 4. September 2008 durchgeführt, um die Nutzung der Lebensräume
und das Wanderverhalten zu untersuchen. Die Freisetzung der ersten 52 Tiere,
von denen 2 mit telemetrischen Sendern ausgestattet waren, stellte den
Einstieg in die Arbeiten im Nordseeeinzugsgebiet dar. Diese Arbeiten werden
seitdem mit experimentellen Besatzmaßnahmen in der Elbe und ihren
Nebenflüssen Oste und Stör intensiviert, so dass bislang über
1700 Tiere für den experimentellen Besatz genutzt wurden. Hierbei
sollen Kriterien für eine Bewertung der Eignung der Nordseezuflüsse
für einen nachfolgenden Besatz zur Etablierung von selbst erhaltenden
Beständen erarbeitet werden. Auf diese Weise soll im Rahmen der Umsetzung
des nationalen Aktionsplans ein harmonisierter Ansatz zur Wiedereinbürgerung
unternommen werden, der alle wichtigen Ressourcennutzer einbezieht.
Weiterführende Informationen:
Dipl. Biol. J. Geßner, Gesellschaft zur Rettung des Störs
e.V., e-mail: sturgeon@igb-berlin.de, Tel.: (030) 641 81 626
Dr. H. v. Nordheim, Bundesamt für Naturschutz, e-mail: henning.von.nordheim@bfn-vilm.de,
Tel.: (038301) 86-120