Was du ererbt
von deinen Vätern...
Foto: Gundula G�ntgen
Festansprache von Jochen Bölsche, Sprecher des Arbeitskreises Schwebefähre in der AG Osteland e. V., zum 100-jährigen Bestehen der Schwebefähre Osten - Hemmoor am 1. Oktober 2009


Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist - fast auf die Woche genau - sechs Jahre her, als einige von uns an der 1. Weltkonferenz der Schwebefähren  in Spanien teilgenommen haben. Ich selber hatte damals Gelegenheit, dem Schirmherrn dieser Konferenz, König Juan Carlos I., während einer Audienz in Madrid die dramatische Situation der seinerzeit stillgelegten und verrottenden Ostener Fähre darzulegen - mit den Worten: "Die kleinste Schwebefähre der Welt ist die mit den größten Problemen."

Und als einzigem Journalisten unter den Teilnehmern der Audienz oblag es mir, die Antwort des Königs möglichst breit zu streuen - jenen mittlerweile geflügelten Appell: "Die Schwebefähren gehören der gesamten Menschheit. Erhaltet diese Brücken!"

Das Wort des Königs hat, wie Sie wissen, seine Wirkung, jedenfalls in Deutschland, nicht verfehlt: Die politisch Verantwortlichen haben 2004 die Notwendigkeit erkannt, die älteste deutsche Schwebefähre vor ihrem schlimmsten Feind, dem Rost, zu schützen und ihre Betriebsbereitschaft wiederherzustellen.

Doch es wäre falsch, sich mit diesem Erfolg zufrieden zu geben. Denn wer sich mit der Geschichte dieser Schwebefähre befasst hat, wie sie in der kürzlich erschienenen Chronik "Über die Oste" geschildert wird, der weiß: Das letzte Dritteljahrhundert der Fähre war immer wieder gekennzeichnet durch ein zähes Ringen zwischen Politikern, die mehrmals bereit waren, dieses Bauwerk kaputtzusparen, und den Verteidigern der Fähre, die dieses Meisterwerk der Ingenieurskunst der Nachwelt erhalten wollen.

Auch die Fähre an der Oste wird also weiterhin auf ihre Freunde und ihre Förderer angewiesen sein - ebenso wie die sieben "Schwesterfähren" in aller Welt: über den Riachuelo in Buenos Aires, über die Charente bei Rochefort, über den Ibaizabal bei Bilbao, über den River Usk in Newport, über den River Tees in Middlesbrough, am Mersey in Warrington und über dem Nord-Ostsee-Kanal zwischen Rendsburg und Osterrönfeld.

Weitblick und Wagemut und Bürgersinn standen vor 100 Jahren an der Wiege all dieser (und rund zehn weiterer) Schwebefährenn, die damals gefeiert wurden als "achtes Weltwunder" und als "schön wie Apollo und stark wie Herkules". Aber täuschen wir uns nicht: Derselbe Weitblick und Wagemut und Bürgersinn wie einst sind heute erforderlich, um die letzten acht erhaltenen Schwebefähren heil durch ihr zweites Jahrhundert zu bringen.

Die Voraussetzungen dafür haben sich in den letzten Jahren glücklicherweise verbessert. Dazu beigetragen hat die bereits 2003 - auch in Osten - begonnene Diskussion über einen möglichen Welterbe-Status für das Baudenkmal und, natürlich, vor allem die Verleihung dieses überaus begehrten Unesco-Prädikats an die älteste Schwebefähre der Welt, die Mutter aller Schwebefähren, in Bilbao im Juli 2006.

Dieses Prädikat Weltkulturerbe auch für die anderen Schwebefähren zu erreichen, das ist das wichtigste Ziel des Arbeitskreises Deutsche Schwebefähren in der AG Osteland, für den ich hier spreche und der unter der Federführung unseres Freundes Andreas Breitner, des Bürgermeisters von Rendsburg, einen supranationalen Sammelantrag vorbereitet, über den am Sonnabend am NOK bei der 3. Weltschwebefährenkonferenz diskutiert werden soll.

Allerdings: Voraussetzung dafür, dass wir eines Tages in internationaler Kooperation unser ehrgeiziges Zielerreichen, ist ein pfleglicher, nachhaltiger Umgang mit unserem Kulturerbe. Umso mehr freut uns eine gute Nachricht aus Newport, dessen Schwebefähre 2007 aus Sicherheitsgründen stillgelegt worden ist. Für die Restaurierung und die Wiederinbetriebnahme sind nun 800.000 Pfund bewilligt worden.

Wie der Wert der historischen Fähren den Zeitgenossen vor Augen geführt werden kann, haben uns unsere ausländischen Freunde vorgemacht - zum Beispiel mit der "Maison du transbordeur" in Rochefort, mit dem "Transporter Bridge Visitor Center" in Middlesbrogh oder mit dem "Centro de Interpretación Puente Transbordador de La Boca" in Buenos Aires. Das sind Vorbilder, denen Osten und Hemmoor im Jubiläumsjahr mit der "Fährstuv" und mit der Internationalen Schwebefähren-Infomeile gefolgt sind.

Für die gewachsene Akzeptanz der Schwebefähre an der Oste hat neben hoher Anerkennung durch nationale und internationale Gremien nicht zuletzt auch der Eindruck gesorgt, dass hier nicht Denkmalschutz allein um des Denkmalschutzes wegen betrieben wird; vielmehr haben wir, die AG Osteland, den Denkmalschutz gezielt in den Dienst des Tourismus und den Tourismus wiederum in den Dienst des Denkmalschutzes gestellt. Ausdruck dieser Strategie ist unter anderem die enge Einbindung der Schwebefähre in ein länderübergreifendes tourstisches Produkt, die 2004 eröffnete Deutsche Fährstraße - und, nebenbei, in eine wunderbare Partnerschaft zwischen den beiden Schwebefährengemeinden Osten und Osterrönfeld.

Hinzu kommt, dass das Bauwerk, das seit zwei Jahren "Schwebefähre Osten-Hemmoor" heißt, nicht länger abgetan werden kann als Dorffähre von lediglich lokaler Bedeutung. Mehr und mehr wird die Schwebefähre als das - im Wortsinne - herausragende Wahrzeichen des gesamten Oste-Einzugsgebietes gesehen, als Symbol einer entwicklungsbedürftigen touristischen Region, des von uns so genannten Ostelandes, das ohne diese seine einzige Landmarke mit emblematischer Wirkung ohne Gesicht wäre und ohne Identifikationsobjekt für ihre Bewohner.

Aus diesem Grund könnte über der Schwebefähre an der Oste auch das Motto stehen, mit dem unsere argentinischen Gäste für die Erhaltung und Inwertsetzung der letzten Schwebefähre Amerikas kämpfen und zugleich für die Revitalisierung des gesamten Stadtteils La Boca: "Puente de integracion y desarrollo" - Brücke der Integration und der Entwicklung.

Und so steht auch die hiesige Schwebefähre völlig zu recht im Zentrum des Jahres der Oste 2009 mit seinen über 400 Veranstaltungen und dem Slogan: "Ein Fluß feiert seine Fähren und Brücken." Die Schwebefähre soll den Menschen ermöglichen, sich mit dem Osteland zu identifizieren, und uns allen helfen, diese Region für einen sanften Tourismus zu entwickeln.

Dem tieferen Sinn unseres Festjahres sowie des heutigen Festtages wäre aber auch ein berühmtes Wort von Johann Wolfgang von Goethe gerecht geworden: "Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen."

www.oste.de
www.osteland.de
www.schwebefaehre.org


 


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