Die schlafende
Schöne ist
erwacht...


Eine erste Bilanz des Jahres der Oste 2009.
Rede von Jochen Bölsche bei der Präsentation
des Buchs "Die Farben der Oste"
am 20. September 2009
in der Festhalle in Neuhaus/Oste

Liebe Freunde, ich freue mich, weil ich an diesem wunderschönen Spätsommersonntag hier in Neuhaus, am äußersten Rande des Ostelandes, so viele Menschen begrüßen darf - schätzungsweise ein Drittel der Mitglieder unserer AG Osteland. Und ich bin glücklich, weil unsere Buchpremiere in dieser rund 100 Jahre alten Festhalle stattfinden kann, die noch vor kurzem dem Verfall preisgegeben war - bis jetzt zwei unserer Mitglieder, Olaf Schlichting und Wilhelm Trütner, sie gekauft haben, um sie mit Hilfe vieler Unterstützer peu à peu zu renovieren und zu restaurieren und sie damit für ihre Nachbarn und für die Nachwelt zu erhalten.

Der Weitblick, der Wagemut und der Bürgersinn, die aus dieser Haltung sprechen, sind typisch für etwas, das wir im Jahr der Oste verstärkt wahrnehmen: Wir an der Oste wollen uns die architektonischen Zeugen unserer Vergangenheit nicht nehmen lassen - selbst wenn Menschen, die den Preis von allem kennen, aber den Wert von nichts, diese Bauwerke aufgeben wollen.

Wir an der Oste - wir kämpfen für die Rettung des alten Leuchtturms in Balje, wir lassen uns die 100-jährige Schwebefähre nicht kaputtsparen, wir wollen die ebenso alte Kornmühle in Osten nicht länger vor sich hin rotten lassen, sondern in eine Kulturmühle verwandeln, wir wollen die historische Prahmfähre in Brobergen dauerhaft sichern - nach dem Vorbild des Kornspeichers in Nieder Ochtenhausen, des Findorff-Hauses in Iselersheim, der historischen Ziegelei in Bevern, der Gedenkstätte in Sandbostel, der Wassermühlen in Eitzte und in Sittensen, der Windmühle in Elm (und hoffentlich bald auch der in Hechthausen). Denn wir wissen: Diese Denkmale  sind die Voraussetzung für eine Zukunft im sanften Tourismus, auf den unsere strukturschwache, peripher gelegene Region dringender angewiesen ist als andere Gegenden.

Ich habe eben das Jahr der Oste erwähnt. Als ich im Frühjahr 2007 vorgeschlagen habe, das Jubiläumsjahr der Schwebefähre, 2009, nicht nur in Osten selber zu feiern, sondern als Festjahr am gesamten Fluss zu begehen, da habe ich von diesem Impuls viel erwartet und noch mehr erhofft. Die Resonanz hat alle meine Erwartungen und alle meine Hoffnungen weit übertroffen. Heute, zwei Wochen vor dem großen Fährjubiläum und vor dem Anbruch des letzten Quartals  - also sozusagen in der Zielgeraden unseres Jahres der Oste - läßt sich eine stolze Zwischenbilanz ziehen: Mehr als 400 Veranstaltungen mit thematischem und geografischem Ostebezug sind uns  gemeldet worden. Nie zuvor hat das Osteland in gleicher Weise all seine Reize so weit entfaltet wie in diesem Jahr, nie zuvor war die Flußidentität, das Gefühl des "Wir an der Oste", dermaßen stark ausgeprägt.

Wir an der Oste brauchten keine mit Experten besetzten externen Planungsbüros, keine teuer bezahlten Helfer, keine professionelle Intendanz, um ein in seiner Vielfalt einzigartiges Festprogramm auf die Beine zu stellen: Bewirkt hat das alles die Kraft und die Kreativität des Ehrenamtes. Nur im Ausnahmefall hat der Vorstand der AG Osteland selber mal eine Veranstaltung organisiert wie etwa den Ball der Oste. In der Regel aber reichte ein Impuls - und eine Art Schwarmintelligenz, wie wir sie bei Fischen und Vögeln bewundern, hat dafür gesorgt, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft überall an diesem 150 Kilometer langen Fluss dasselbe Ziel ansteuerten: unser Osteland voranzubringen, zumindest nicht weiter zurückfallen zu lassen.

Wir an der Oste haben erlebt, dass insgesamt Tausende von Sportlern in diesem Jahr an Radtourenfahrten wie der "Tour de Oste" oder dem "Biking auf der Milchstraße" und an der Jubiläumsbefahrung der Deutschen Fährstraße mit Monika und Peter Prüß teilgenommen haben, bei Oste-Volksläufen mitgemacht haben, in Oberndorf um den Oste-Cup (organisiert von Karsten Lemke)  und in Hollnseth um den Osteland-Pokal (organisiert von Henry Springer) gekickt haben, in Osten die "Sporttage an der Deutschen Fährstraße" besucht und überall am Fluß Wassersport betrieben haben - vom Tauziehen über der Oste in Hechthausen und Burweg über die Lichterfahrt in Osten und das von Werner Brewes geleitete Oste-Rudermarathon in Hemmoor bis hin zu den Kanustaffetten und der Segelregatta "Rund um den Medemgrund" diesen Monat in Oberndorf.

Wir an der Oste haben unseren Fluss aber auch als Fluss der Künste und der Kultur erlebt, beginnend am Neujahrstag mit Sigrid Frömmings großartiger Papierschiffchenaktion "Von Tostedt nach Tonga". Wiederum Abertausende haben in Bremervörde, in Osten und in Neuhaus die Bilder der von Wolf-Dietmar Stock und Karl-Otto Richters wiederentdeckten großen Ostemaler Diedrich Rusch und Karl-Otto Matthaei betrachtet, sie haben die vielen Orgel- und Chorkonzerte zum Jahr der Oste in den Kirchen am Fluss besucht, haben das von Gerd Drewes organisierte Shantyfestival in Schwarzenhütten und das Programm des Hamburger Theaterschiffs genossen, die Blasmusiktage in Hechthausen und in Osten oder den Zuckowski-Auftritt diese Woche in Balje und ungezählte liebenswürdige kleine Veranstaltungen wie die Uraufführung des Marionettenstücks um den legendären Oste-Hecht mit der goldenen Krone in Hechthausen; dazu kommt noch die bevorstehende Gedenkveranstaltung an den in Warstade aufgewachsenen Peter Rühmkorf, der ebenso wie der im selben Jahr in Nartum verstorbene Walter Kempowski die Oste zum "Fluss der großen Dichter" gemacht hat.

Wir an der Oste freuen uns aber auch über das Engagement der Kirchen, eine  Tourismustagung, Blaskonzerte und einen ökumenischen Gottesdienst an der Schwebefähre haben statfinden lassen, und das Engagement der Grundschule Bremervörde-Innenstadt - genannt sei hier die Lehrerin Erika Bardenhagen - , der Osteschule Hemmor, des Gymnasiums Warstade, der Kiebitzschule Oberndorf und der Grundschule Neuhaus, deren Schülerinnen und  Schüler in Projektwochen zum Jahr der Oste den Heimatfluss gemalt, fotografiert und erkundet haben.

Wir an der Oste haben unseren Fluss aber auch als Fluß mit Vergangenheit kennengelernt - dank Mitgliedern die Dietrich Alsdorf, Heino Grantz, Corinna Kolf, Karl-Heinz Brinkmann, Carsten Hubert und anderen, die zum Ostejahr Historienspiele  Mittelaltermärkte, einen Fährmarkt und am 1. Mai erstmals einen Tag der Fähren veranstaltet haben, dank Mitgliedern wie Rainer Brandt mit seiner Ausstellung über die Bremervörder Hafengeschichte, dank Günther Lunden und Walter Zeeck, die Geversdorf und dessen Schiffbau- und Fischereigeschichte dargestellt haben, dank der CDU Hechthausen, die Gisela Tiedemann zu einem Vortrag über die Fährgeschichte gebeten hat, dank Klaus Torborg, der mit dem Heimatverein Hechthausen einen Abend zur Deichbaugeschichte angesetzt hat,  dank Erika Borchers vom Heimatverein Osten, der seinen Mitgliedern das Leben an der Schwebefähre vor 100 Jahren nahegebracht hat, dank Dr. Manfred Toborg, Niels Dehde und Henning Kuhne, die in Osten und Oberndorf vier Abende zur Fährschichte mit Grit Klempow veranstaltet haben, dank Nikolaus Ruhl, der an der Gestaltung gleich zweier musealer Einrichtungen mitgewirkt hat, der in vorigen Monat eingeweihten Fährstuv in Osten und der im März eröffneten Internationalen Schwebefähren-Infomeile in Hemmoor, schließlich dank diverser Heimatfreunden an der unteren Oste, die informative Tafeln für einen historischen Deichwanderweg erarbeitet haben.

Wir an der Oste haben unseren Fluss zugleich als Fluß der Landwirtschaft erleben dürfen - mit der von Torsten Wichmann erwirkten erstmaligen Verlegung des norddeutschen Apfelsaisonstarts vom Alten Land nach Osten, mit der von Horst von Thaden vorangetriebenen Umwandlung der Molkerei Hasenfleet in eine "Gläserne Molkerei" inmitten eines Netzes neuer Osteland-Milchwanderwege, mit der von Erich Kahrs aufgebauten Reitsportausstellung in Großenwörden, mit der gemeinsamen Osteland-Tortenaktion der Landfrauen aus drei Kreisverbänden, die mit ihren Produkten, einem neuen Rezeptbuch  und ihren gastlichen Landfrauencafés entlang der Oste so etwas wie eine "Deutsche Tortenstraße" kreiert haben, wie eine Zeitung schrieb.

Überhaupt die Medien: Wohl nie zuvor hat unser Fluss bei Fernsehsendern, von N3 bis Pro7, vergleichbar viel Aufmerksamkeit erregt wie im Jahr der Oste, im Vorfeld des Fährjubiläums. Und auch Printmedien aller Art, von der "Angelwoche" über eine Sonderausgabe der Kundenzeitschrift der Eisenbahngesellschaft "metronom" bis hin zur "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" - und unsere Heimatblätter sowieso - haben die lange Zeit vergessene Oste zum Thema gemacht;. Unvergessen ist vielen von uns zum Beispiel die siebenteilige Serie samt Sonderseiten über die Wanderung des von Fussblasen gequälten NEZ-Redakteurs Jens-Christian Mangels von der Mündung bis zur Ostequelle.

Für die allerstärkste öffentliche Resonanz aber haben in unserem Jahr der Oste die 7800 Sportfischer am Fluß gesorgt, mit deren finanzieller Unterstützung ein beispielloses Experiment angelaufen ist: der Versuch, den hier vor 100 Jahren praktisch ausgerotteten urtümlichen Kaviarfisch Stör - von dessen hier einstmals heimischer Art weltweit nur noch 111 Elternfisch-Exemplare existieren - hier wieder anzusiedeln, nachdem die Artenschützer in den Angelvereinen zuvor schon durch die Wiedereinbürgerung des Lachses, des "Königs der Fische", die Oste  zu Deutschlands Lachsfluss Nummer eins gemacht haben.

Während ich hier zu Ihnen spreche, referiert ein paar Kilometer weiter, beim "Tag des Fisches" im Natureum, zu diesem großartigen Thema unser Mitglied Wolfgang Schütz, der Sprecher eines neuen Arbeitskreises Wanderfische, zu dem sich die Ostepachtgemeinschaften der Sportfischer mit der AG Osteland zusammengetan haben. Wolfgang Schütz  spricht dort über das ehrgeizige Störprojekt, das  beträchtliche EU-Investitionen in einen guten ökologischen Zustand der Oste zur Voraussetzung hat und das bereits jetzt internationale Beachtung erfährt. Als ein Kreis von Osteland-Mitgliedern aus Oberndorf dort ein schwimmendes Stördenkmal eingeweiht hat, reisten sogar der Präsident der Weltgesellschaft der Erhaltung des Störs und ein Vertreter der Akademie der Wissenschaften aus Moskau an. Und demnächst will die Gemeinde Oberndorf mit EU-Hilfe an ihrer schönen neuen Fährpromenade auch ein Stör-Informationszentrum einrichten.

Ich könnte noch über vieles berichten, was in den letzten Monaten am Fluss touristisch vorangekommen ist, immer wieder beflügelt und beschleunigt durch die Kommunalpolitiker in unseren Reihen und durch das Jahr der Oste: über die neuen Fahrgastschiffanleger, für die wir uns seit Jahren einsetzen und die wir dank einer 10.000-Euro-Spende der Elbfähre Glückstadt-Wischhafen einheitlich beschildern können; über neue Wohnmobilplätze am Fluss; über den erstmaligen Besuch von Traditionsseglern wie der "Albatros"; über neue Osteland-Poster, Osteland-Postkarten und drei Oste-Kalender; über den von uns herausgegebenen Radwanderführer "Deutsche Fährstraße"; über das erfolgreich etablierte "Osteland-Magazin" der Heimatzeitungen; über neue Oste-Lieder, die der Platt-Barde Rollo 333, die Frauenband Kaktusblüte sowie Uwe Mählmann aus Oberndorf und Hanni Milan aus Hemmoor getextet und komponiert haben; über den vom Ulex-Destillateur Olaf Schlichting eigens entwickelten "Osteland-Aquavit", über die gleichermaßen vorzüglichen, vom Wingster Koch Claus Peter und vom Bremervörder Gastwirt Sommer kreierten "Oste-Menüs" und und und.

Ich will aber hier nur noch einen einzigen Punkt vertiefen: das literarische Angebot zum Thema Oste, das in diesem Festjahr enorm bereichert worden ist.

Zu nennen ist neben dem schon erwähnten Osteland-Radreiseführer "Deutsche Fährstraße" vor allem das wunderbare Oste-Fährenbuch "Hol över" von Grit Klempow, ferner der von Gisela Tiedemann und mir mit Hilfe vieler Ostefreunde erarbeitete Prachtband "Über die Oste" mit Geschichten aus 100 Schwebefähren-Jahren; die in Kürze erscheinende Autobiografie von Peter Schütt mit dem Titel "Von Basbeck über Moskau nach Mekka", dazu der von Elke Loewe und Wolf-Dietmar Stock herausgebene Sammelband "Mord an der Schwebefähre", hervorgegangen aus dem gleichnamigen Kurzkrimi-Wettbewerb unseres Projekts "Krimiland Kehdingen-Oste" - und, natürlich, das Buch des Tages, "Die Farben der Oste", das zweite vom Ostepreisträger-Duo Loewe/Stock für die AG Osteland herausgegebene große Oste-Lesebuch, das uns anschließend vorgestellt wird.

Mir bleibt nur, ein knappes Resümee zu ziehen: Die lange Zeit vergessene Oste, diese schlafende Schöne, ist erwacht. Und uns allen ist zu wünschen, dass wir noch viel Freude an ihr haben.

Und es bleibt ein Wunsch: Schon wäre es, wenn die AG Osteland, dieses deutschlandweit einzigartige ehrenamtlich funktionierende Flußnetzwerk, nach diesem bemerkenswerten Jahr mindestens so viele Mitglieder haben würde wie das Jahr der Oste Tage zählt. Der aktuelle Stand, erhoben heute Mittag, sind 361 Mitglieder. Aufnahmeanträge und das Vereinsabzeichen, den silbernen Fährmann, gibt's bei am Infotisch.

Noch während der Veranstaltung stieg die Mitgliederzahl auf 365.

www.oste.de
www.jahr-der-oste.de


 





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