Rohre statt Röhricht

Marschgewässer verarmen weiter

Ein Diskussionsbeitrag von Georg Ramm

In Europa sollen die Gewässer in ihrer Qualität auf dem jetzigen Stand erhalten oder verbessert werden, wenn sie keinen naturnahen Zustand aufweisen. Dies ist für natürliche Gewässer wie Bäche, Flüsse, Seen gut darstellbar, für künstlich hergerichtete Entwässerungsgräben, Flethe und Kanäle aber gibt es Schwierigkeiten, die Interessen der Gewässernutzer und Gewässerschützer zusammenzuführen.
Obwohl die europäische Wasserrahmenrichtlinie eine Verbesserung des biologischen Zustandes auch für diese intensiv genutzten Gewässer unserer Kulturlandschaft fordert, gibt es hier derzeit wenig Fortschritte. Jährlich tagen die "Gebietskooperationen", in denen Behörden- und Verbandsvertreter unter Leitung des NLWKN (Niedersächsisches Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz) Erfahrungen auszutauschen.

Trotz aller Diskussionen lassen die großen Maßnahmen auf sich warten. Den Marschengewässern geht es trotz Wasserrahmenrichtlinie auf absehbare Zeit nicht besser. Besonders in extrem regenarmen Zeiten wird nicht oder zu langsam reagiert und die Gewässer fallen trocken. Folge: die Lebewesen sind in ihrer Aktivität behindert oder sterben sogar ab.

Zu wenig Wasser in niederschlagsarmen Zeiten des Jahres und zu flach gehaltene Gewässer hemmen die Ausbildung einer funktionierenden biologischen Struktur. Dies wirkt sich auch im Herbst aus, wenn stärkere Niederschläge einsetzen. Jetzt werden viele Stoffe aus den Böden ausgewaschen, die zu regelmäßigen Fischsterben führen, soweit noch Fische da sind. Weil offene Gräben und Flethe als Puffer fehlen, fließt Wasser direkt aus den Drainagen in den Vorfluter, in dem es auf einen viel zu kleinen Restwasserkörper trifft.

Zum Winter hin werden die Wasserstände in den Vorflutern weiter so flach gehalten, dass Eisen in Form des sogenannten Ockers ausfällt, der sich als flockige Substanz auf die Pflanzen legt. Der Stoffaustausch der Pflanzen wird behindert - insbesondere die Sauerstoffproduktion. Das baldige Absterben dieser bedeckten Pflanzenteile führt zu weiterer Sauerstoffzehrung. Für höhere Organismen ist der Lebensraum dann nicht mehr geeignet. Spätestens wenn eine Eisschicht die Wasserfläche bedeckt kommt es zum Absterben der noch verbliebenen Fische.

Der Grund, weshalb die Entwässerungsverbände diese biologisch ungünstige Situation in Kauf nehmen, ist die "bevorratende Entwässerung": Möglichst wenig Wasser soll im Entwässerungssystem bleiben, damit bei plötzlich einsetzendem Regen ein ausreichender Puffer bis zum Einsetzen der Pumpen vorhanden ist. Ein hausgemachtes Problem: Durch die Verrohrung der früher offenen Gräben fehlt heute ein ausreichender Speicher für starke Niederschläge.

Früher war die Funktion der Marschgewässer vielfältig: Sie waren Transportwege für Güter wie Ziegel, Torf oder Getreide, als Laich- und Aufzuchtgewässer für die Fische Produktionsstätte für Lebensmittel, aber auch "Kläranlagen" für Abwässer aus häuslichem und landwirtschaftlichem Bereich. Heute ist die Funktion meist auf die rein mechanische Entwässerung reduziert, die Gewässer sind eng und geradlinig.

Die Uferböschung wurde zunehmend steiler und damit besonders in den Marschen instabiler. Denn zusätzlich finden Tierarten wie der Bisam hier ein einladendes Betätigungsfeld und bauen unbehelligt Höhlen in die steilen Uferwände. Wirtschaftliche Folgen, bis hin zu Straßenschäden sind die Folge. Letztlich werden - wie im Dösemoor - die Ufer mit aufwendigen Spundwänden gesichert. Dies ist hinsichtlich der Biologie des Gewässers eine deutliche Verschlechterung, da mit dem amphibischen Übergang vom Wasser- zum Landlebensraum ein biologisch wichtiger Bereich des Ufers ausfällt. Viele Pflanzen wachsen hier, und Vögel, Amphibien wie Reptilien können sich verstecken, nisten, laichen oder zum anderen Lebensraum wechseln.

Um unserer Marschengewässer im Sinne der europäischen Wasserrahmenrichtlinie zu verbessern, ist ein mehr vorausschauendes Vorgehen erforderlich. Unter Rückbesinnung auf die Entstehung dieser Gewässer, zum Teil waren es früher einmal Priele, auf die vergangene wirtschaftliche Nutzung und unter Berücksichtigung heutiger technischer Möglichkeiten ließen sich zeitnah aus verarmten Entwässerungskanälen wertvolle Produktions-, Sammel-, Rückhalte- und Regenerationsgewässer schaffen.

Georg Ramm ist Naturschutzbeauftragter des Landkreises Stade.

Aus: Stader Tageblatt, 14. Oktober 2010
 
 
 

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