Schwebende Gondeln
über dem Fluß

Aus: Industrie-Kultur 2/2006

Seit dem späten 19. Jahrhundert ziehen Schwebefähren die Betrachter in ihren Bann. Vermutlich 22 dieser meist riesigen filigranen Brücken mit angehängter Gondel wurden bis 1940 gebaut. Heute existieren weltweit noch mindestens neun Stück. Dies geht aus der Internetseite www.schwebefaehre.org der Fördergesellschaft zur Erhaltung der Schwebefähre in Osten e. V. hervor. Die mit Abstand jüngste und kleinste »verkehrt« in Mönchengladbach allein für den Tourismus: Sie bringt Fußgänger über das Flüßchen Niers. Und sie erinnert an den zu Napoleons Zeiten nur halbfertig gebauten Nordkanal.

Schwebefähre - schon der Begriff ist Poesie. Ohne das Wasser zu berühren, gleichsam schwebend, bringt eine Gondel Fußgänger und Autos von einem Ufer zum anderen. Das englische »transporter bridge« wirkt da viel profaner, auch wenn Ingenieure gerne klarstellen, daß es sich bei Schwebefähren »nur« um bewegliche Brücken handelt. Doch der Abstand zwischen dem Brückenträger und der Gondel ist so groß, daß man schnell das Gefühl des Schwebens hat.

Wie ein Portalkran

Mit Schwebefähren werden breite Hafeneinfahrten fest überbrückt, ohne daß der Verkehr der großen Schiffe behindert wird. Auch lange Anfahrtsrampen sind nicht nötig. Wie bei einem Portalkran hängt eine riesige Laufkatze unter einem großen Brückenträger, rollt dort auf Schienen einer Hängebahn. Pläne für derartige Brücken gab es im 19. Jahrhundert viele, doch erst 1893 ging über dem Rio Nervion zwischen Getxo und Portugalete bei Bilbao in Spanien die weltweit erste in Betrieb. Ersonnen hatten sie der Architekt Alberto de Palacio, ein Freund des Eiffelturm-Erbauers Gustave Eiffel, sowie der Ingenieur Ferdinand Arnodin.

Arnodin konstruierte auch die Schwebefähren im tunesischen Bizerte (1898 erbaut, 1907 abgebaut, in Brest/Frankreich wieder errichtet, 1947 abgebrochen), in Frankreich die in Rouen (1899, 1940 zerstört), in Rochefort (1900, heute Museumsbetrieb), in Nantes (1903, 1958 abgebrochen), in Marseille (1905, 1944 zerstört) sowie im südwalisischen Newport (1906, in Betrieb), vermutlich auch die seit 1910 erbaute und nie fertiggestellte Schwebefähre in Bordeaux.

Deutschland hatte eigene Konstrukteure. Die Schwebefähre über der Zufahrt zum Werfthafen der Kaiserlichen Werft in Kiel (später Deutsche Werke Kiel, heute Gelände der HDW-Howaldswerke Deutsche Werft) hatte Marine-Hafendirektor Georg Ludwig Franzius konstruiert; gebaut hat sie 1910 die Gutehoffnungshütte (HG, Oberhausen). Schon 1923 wurde sie abgebrochen, der Werfthafen zugeschüttet. Die GHH war auch am Bau der Schwebefähre über dem Nord-Ostsee-Kanal zwischen Rendsburg und Osterrönfeld beteiligt. Als Teil der 1913 nach den Plänen des Reichsbahn-Ingenieurs Friedrich Voß erbauten Eisenbahn-Hochbrücke ist sie unverändert in Betrieb. Auch am Bau mindestens einer der um 1914 entstandenen Schwebefähren in Buenos Aires (Argentinien) soll die GHH beteiligt gewesen sein. Nach einer Übersicht des niederländischen Experten Cor an Eldik soll es dort mal vier Schwebefähren gegeben haben.

Die 1908/09 erbaute und jüngst restaurierte Schwebefähre zwischen Osten und Hemmoor im Elbe-Weser-Dreieck dagegen stammt von der MAN, Werk Gustavsburg; als Bauleiter wurde der Eiffel-Schüler Louis Pinette (Berlin) beschäftigt. Weitere Schwebefähren entstanden im amerikanischen Duluth/Minnessota (1905, 1929 umgebaut, seitdem als Hubbrücke in Betrieb), im mittelenglischen Widnes über dem Mersey (1905, 1961 abgebrochen), im nordostenglischen Middlesborough (1911, in Betrieb), im brasilianischen Rio de Janeiro (1915,1935 abgebrochen), im mittelenglischen Warrington über dem Mersey (1916, 1964 stillgelegt) sowie als Teil einer Straßenbrücke über dem Amsterdam-Rhein-Kanal in Maarssen (1938,1959 abgebaut).

Acht dieser alten Schwebefähren sind übrig geblieben: die eine in Spanien, zwei in Deutschland, eine in Frankreich, drei in England und eine in Buenos Aires. Vor allem die beiden Weltkriege und der moderne Straßenverkehr hatten die aufwendigen Konstruktionen überflüssig gemacht. Denn die Transportleistung der Fährgondeln ist relativ gering. Die verbliebenen Schwebefähren aber haben immer mehr Liebhaber gefunden, die sich weltweit organisieren. Das vorläufige »Aus« der Schwebefähre in Osten wegen baulicher Mängel hatte die Freunde dort zu einer sagenhaften Lobbyarbeit angetrieben: Im Ergebnis wurde die seit 1974 nur noch für den Tourismus betriebene Schwebefähre umfassend saniert.

Initiative aus Niedersachsen

Im Jahr 2000 hatte die Fördergesellschaft in Osten ihre Internetseite online gestellt, die aktuell und weltweit über die Schwebefähren-Landschaft berichtet, gestaltet von dem umtriebigen Webmaster Jochen Bölsche. Nach dem Motto »Gemeinsam sind wir stark« wurde so ein vorbildliches Netzwerk aufgebaut. 2003 hob die Ostener Fördergesellschaft auch den Weltverband der Schwebefähren mit aus der Taufe. Dir Ehrenpräsident ist der beliebte spanische König Juan Carlos. Noch in diesem Jahr soll die Schwebefähre im spanischen Portugalete Teil des Weltkulturerbes werden.

Einer anderer Fan von Schwebefähren ist Mirko Baum, Architekt an der RWTH in Aachen. Die von ihm entworfene Schwebefähre hat in Mönchengladbach ein Zeichen gesetzt. Denn hier hätte die Niers den Nordkanal queren sollen, der allerdings an dieser Stelle nie gebaut wurde. Der »Grand Canal du Nord« sollte den Rhein bei Neuss mit der Maas bei Venlo verbinden, um so (an den Seehäfen der Niederlande vorbei!) für die 200-Tonnen-Rheinschiffe eine Direktverbindung zum damals französischen Hafen Antwerpen zu schaffen. 1807 begann der vom französischen Kaiser Napoleon aus strategischen Gründen betriebene Bau. Doch schon 1810 fielen auch die Niederlande an Frankreich - der Bau des Kanals wurde eingestellt. Übrig blieb ein 53 Kilometer langes Fragment mit Brücken und Schleusen ohne Anschluß an den Rhein. Trotzdem haben auf einem Teilstück bis 1851 sogar Frachtschiffe verkehrt.

Dieser gewaltige Torso wurde als landschafts- und völkerverbindendes Element neu in Szene gesetzt. Ein ausgeschilderter, fast 100 Kilometer langer Fahrradweg erschließt das Ganze. Eine der Sehenswürdigkeiten ist seit dem Herbst 2003 die Schwebefähre im Nordosten von Mönchengladbach, in der Nähe der Cloerbruchallee im Ortsteil Donk. Das in einfacher Bauweise errichtete Kuriosum ist allerdings ungleich kleiner als ihre bekannteren Schwestern, die oft 50 Meter hoch und weit mehr als 100 Meter lang sind. Das Gladbacher Bauwerk wird auch »Erlebnisbrücke« genannt, weil die Nutzer hier nicht nur über die Niers schweben, sondern die 2,50 mal 1,50 Meter große Gondel per Muskelkraft auch selbst bewegen müssen - dafür ist die Fahrt kostenlos!

Sven Bardua

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