Süddeutsche Zeitung
1. 11. 11

Landfrust

Der deutschen Provinz wird seit vielen Jahren übel mitgespielt

Von Uwe Ritzer

... Der deutschen Provinz wird seit vielen Jahren übel mitgespielt... Kaum dass sie privatisiert waren, haben sich Post, Telekom und Bahn radikal aus der Fläche zurückgezogen. Bund und Land zentralisierten ihre Behörden. Nun beschloss die Bundesagentur für Arbeit, kleine Arbeitsagenturen in ländlichen Regionen zu größeren Einheiten zu verschmelzen. Auch bei den öffentlich-rechtlichen Regionalbanken, ob Sparkassen oder Genossenschaftsbanken, ebbt die Fusionswelle noch lange nicht ab. Für viele dieser Entscheidungen gibt es gute Gründe. Sie machen unter den Prämissen reiner Wirtschaftlichkeit und Effizienz häufig Sinn. Doch als Folge davon bluten ganze Regionen langsam aber sicher aus. Und das beileibe nicht mehr nur im chronisch strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern, sondern inzwischen auch in reichen Bundesländern wie Bayern.

Den betroffenen Kommunen gehen Arbeitsplätze verloren, aber vor allem Entscheidungsträger. Und damit die Chance, mit deren Hilfe maßgeschneidert auf regionale Bedürfnisse zu reagieren. Es ist wie in Konzernen: Die Zentrale ist weit weg und hat oft keinen blassen Schimmer von den Erfordernissen vor Ort. 

In den verlassenen Kommunen wird das Leben für Bürger und Unternehmen immer komplizierter. Ihre Bürgermeister führen bizarre Kämpfe um schnelle Datenleitungen, die in einer hochentwickelten Industriegesellschaft eigentlich überall längst selbstverständlich sein sollten. All diese Nachteile werden nicht mehr dadurch aufgewogen, dass es sich auf dem Land billiger und landschaftlich schöner leben lässt. 

Wenn die Firmen abziehen und junge Menschen zur Arbeit in Ballungszentren abwandern müssen, wird dort das Leben immer teurer. Zurück bleiben am Ende nur noch die Alten. Diese Wirklichkeit hat so garnichts mit jener ländlichen Schein-Idylle zu tun, nach der sich die Menschen in ihren klimatisierten Großstadt-Büros offenbar mehr denn je sehnen. Oder wäre sonst eine Zeitschrift zur erfolgreichsten der vergangenen Jahre geworden, die einer kitschigen Land-Lust frönt?

Die wirtschaftlichen Kerne stärken oder gleiche Lebensverhältnisse überall im Land schaffen - Wissenschaftler und Poütiker streiten darüber schon lange. Es ist ein falscher Denkansatz. Es wäre fatal, das eine zu tun und das andere zu lassen. Man wird in abgelegenen Gebieten nie eine Infrastruktur wie in Großstädten schaffen können. Aber wer sich umgekehrt nur noch auf prosperierende Regionen konzentriert, untergräbt das föderale Prinzip in Deutschland und fleddert den Begriff vom Gemeinwohl, das eben für alle gilt. Vor allem aber provoziert er eine Landflucht, die schnell zum ökonomischen und gesellschaftspolitischen Problem wird.

Es braucht also beides: Starke Zentren und eine überlebensfähige Provinz. Letztere braucht dringend eine aktivere Strukturpolitik als zuletzt. Dem darf sich niemand entziehen. Übrigens auch nicht die Bundeswehr. Viele ihrer Standorte, die nunmehr wegrationalisiert werden, wurden nach dem Krieg ganz bewusst in die Provinz gesetzt, um eben diese zu stärken.

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