Jochen Bölsche: Eine Zeitreise
in meine Lehrter Jugendjahre

100-Jahr-Feier des Gymnasiums Lehrte am 23. 6. 2013

 
24. 6. 2013. Ein schöner Sommertag: Ich feiere dieses Wochenende in meiner Geburtsstadt Lehrte (bei Hannover) mit alten Schulfreunden das 100-jährige Bestehen des Gymnasiums, an dem ich einst als 16-Jä...hriger in der Redaktion der zensurbedrohten Schülerzeitung "Wir" erste journalistische Erfahrungen gesammelt und an dem ich 1964, also vor knapp 50 Jahren, das Abitur gemacht habe. 

Die Festrede zum Hundertjährigen des Gymnasiums hielt Ministerin Ursula von der Leyen (Lehrter Abi-Jahrgang 1976) im "Kurt-Hirschfeld-Forum", in dem heute die Oberstufe, das Veranstaltungszentrum und die Musikschule der 40.000-Einwohner-Stadt untergebracht sind - und dessen Namensgebung in mir sehr gemischte Erinnerungen weckt.

Als 19-jähriger Volontär der "Hannoverschen Allgemeinen" und damaliges Mitglied der linksliberalen, FDP-nahen Jungdemokraten hatte ich im Herbst 1964 angeregt, "mein" Gymnasium nach dem bedeutendsten Sohn der Stadt zu benennen: nach dem kurz zuvor verstorbenen, 1933 von den Nazis in die Emigration getriebenen großen Theatermann Kurt Hirschfeld, dessen Wirken als Direktor des Zürcher Schauspielhauses untrennbar mit den Namen von Zuckmayer, Dürrenmatt, Max Frisch und Bertolt Brecht verbunden war.

Mein Namensvorschlag wurde in der teilweise noch NS-geprägten Lehrerschaft offenbar als Provokation empfunden: "Ein deutsches Gymnasium nach einem Juden benennen?". Ein FDP-Antrag im Rat der Stadt drohte - so damals die Lokalpresse - "zu Tumulten" zu führen. Nicht einmal eine Straße wollte die konservative Mehrheit Kurt Hirschfeld widmen.


Gedenktafel im Kurt-Hirschfeld-Forum

Erst mehr als zwei Jahrzehnte später - lange nach dem reinigenden Gewitter von 1968, nach einer Verjüngung des Lehrerkollegiums und einer Initiative sozialdemokratischer Kommunalpolitiker um Rolf Miller - war die Zeit reif für die Umsetzung des 1964er Vorschlags. Das seit 1985 nach Kurt Hirschfeld benannte Forum ist mittlerweile längst zum Glanzpunkt des gymnasialen Wirkens und zugleich zum kulturellen Zentrum der Stadt geworden. Eine von Schülerinnen und Schülern erarbeitete Ausstellung zu Kurt Hirschfelds 100. Geburtstag im Jahre 2002 ist übrigens auf Youtube dokumentiert

Nichts mehr zu spüren ist heute, im Jubeljahr des 100-jährigen Gymnasiums, vom Muff der Fünfziger und Sechziger. 

Voller Staunen vernehmen heutige Schüler, dass damals auf Geheiss des "Direx" missliebige Artikel mit Rasierklingen aus sämtlichen Exemplaren der Schülerzeitung herausgetrennt werden mussten, dass eine schwangere Schülerin der Anstalt verwiesen wurde und dass das von Schülern gegründete Kabarett "Die Blechtrommler" 1965 am Gymnasium Auftrittsverbot erhielt - wir Jungdemokraten stellten den Blechtrommlern einen Ersatzraum außerhalb der Schule zur Verfügung und mobilisierten Kultusministerium und überregionale Presse - siehe Online-Archiv der "Zeit".

Diejenigen Pauker (nicht alle!), unter denen wir damals zu leiden hatten, sind für die Schüler heute - eine Lachnummer. 

In einem umjubelten Musical zum Jubiläum karikierte eine Gymnasiastin in einer Hosenrolle einen der autoritären Englischlehrer aus den 60er Jahren. Und dazu donnerte der Schulchor "We don't need no education". As time goes by. 

Nein, früher, ganz früher war n i c h t alles besser.

Von mir im Herbst 1965 verfasster Artikel im Jungdemokraten-Blatt "Zwischenruf":


 
 

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