Artikel des Hamburger Abendblattes:

Minister lässt einen
Wald verschwinden

Von Ludger Fertmann

Hamburger Abendblatt, 31. März 2010

Um die Ansiedlung einer Geflügelschlachterei zu ermöglichen, wurden Zigtausende Bäume einfach "wegdefiniert": Aus Wald wurde fiktiver Wald.

Hannover/Celle. 45 Prozent der Fläche des Landkreises Celle sind Wald - ein Spitzenwert für Niedersachsen, der nur im Harz überboten wird. Ein Problem aber ist der Celler Wald für die örtlichen Bauern, die gerne mit Hähnchenmast in großem Stil das große Geld verdienen wollen. Ihnen wollte Landwirtschaftsminister Hans Heinrich Ehlen (CDU) helfen und hat in seinem Ressort einen Erlass zimmern lassen: Aus Wald wird fiktiver Wald gemacht mit der Folge, dass die Bauern unmittelbar neben den Bäumen viele weitere Ställe bauen können - samt Schadstoffbelastung durch Ammoniak.

Dabei werden die Bäume nicht etwa abgeholzt und zu Papier verarbeitet, sondern schlicht auf dem Papierwege wegdefiniert. Was wiederum die Grünen im Landtag auf die Palme treibt, die das am Dienstag als glatten Rechtsbruch bezeichneten, weil das Bundesrecht eindeutig vorschreibt, dass neue Mastanlagen wegen des großen Ausstoßes von Ammoniak nicht in der Nähe von Wäldern errichtet werden dürfen.

Per Erlass aber hat das Ministerium die Landkreise Anfang des Jahres angewiesen, als zuständige Genehmigungsbehörde solche Anlagen auf dem Umweg über den Status des fiktiven Waldes zu ermöglichen. Der vorgeschriebene Umweg zu diesem Ziel: Für den Wald wird eine Abholzungsgenehmigung erteilt, im Gegenzug verpflichtet sich der Besitzer, genau davon keinen Gebrauch zu machen. Dennoch gilt nach der Logik des Ministeriums "der Wald in seiner emmissionsschutzrechtlichen Bedeutung als nicht mehr vorhanden". Im Klartext: Die vorgeschriebene Distanz von 150 Metern entfällt. Damit nicht genug: Die vom Ministerium wörtlich so genannte "fiktive Waldumwandlungsgenehmigung" führt zwar zur Schädigung des Ökosystems, dennoch darf der Wald laut Erlass "als Teilkompensation angerechnet werden". Damit unterläuft das Ministerium die Verpflichtung, für den Bau von Mastanlagen abgeholzte Waldflächen an anderer Stelle neu zu schaffen, also zu kompensieren.

Der Erlass zielt aktuell vor allem auf den Landkreis Celle: Hier fördert das Land mit Millionen an Steuermitteln den Bau eines riesigen Geflügelschlachthofes in Wietze. Der soll langfristig bis zu 1000 Arbeitsplätze bringen und außerdem sollen bis zu 400 Bauern im Umfeld neue Mastanlagen für jeweils 40 000 Tiere bauen. Örtliche Bürgerinitiativen, aber auch die Oppositionsfraktionen im Landtag laufen dagegen Sturm und warnen, die Region an der A 7 verkomme zum "Hähnchenhighway".

Die Grünen-Fraktion im Landtag aber hat die Sache nicht auf sich beruhen lassen, sondern sich an den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages in Hannover gewandt. Und die Juristen des Parlaments legen die Axt an die Wurzel des Fiktivwaldes und der ministeriellen Logik: "Der Erlass geht von einem unrichtigen Verständnis des Bundesrechts aus." Kommentar des Grünen-Abgeordneten Meyer: "Minister Ehlen sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr."

Das Landwirtschaftsministerium in Hannover kündigte gestern an, man werde die Stellungnahme der Juristen prüfen. Problem des Ministeriums: In der Region Weser/Ems gibt es bereits jetzt die größte Dichte an Geflügelzuchtbetrieben in ganz Deutschland inklusive Protesten - aber auch Wirtschaftswachstum.

Ebenfalls gestern kündigte der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) an, das Land investiere im laufenden Jahr 1,3 Millionen zum Erhalt einer intakten und vielfältigen Natur. Andererseits hat sein Ressort auch nichts gegen Fiktivwälder und die Umgehung des Bundesrechts. Der Erlass über Waldumwandlung erging "im Einvernehmen" mit dem Umweltministerium.


Quellen:

tageszeitung, 31. 3. 2010:

http://www.taz.de/1/nord/artikel/?dig=2010%2F03%2F31%2Fa0219&cHash=f6e4a81d3a

Deutschlandfunk am 31. 3. 2010:

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/umwelt/1154875/

Energie-Blog, 31. 3. 2010:

http://www.energieblog24.de/niedersachsens-fiktive-walder/

Argumente der Gegner der Mastanlage:

http://celleheute.de/initiative-gegen-mastanlage-lachendorf-gruendet-sich/

Stellungnahme der SPD:

http://celleheute.de/spd-mastanlagen-gefaehrden-arbeitsplaetze/

Erlass des Ehlen-Ministeriums:

http://celleheute.de/wordpress/wp-content/uploads/2010/03/fiktiverwald1.pdf

Stellungnahme des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes, Erlass des Landwirtschaftsministeriums, Anfrage der Grünen und Ehlens Antwort:

http://celleheute.de/wordpress/wp-content/uploads/2010/03/334464.pdf

Stellungnahme der Grünen:

http://celleheute.de/huehnermastbetrieb-ministererlass-zu-fiktiven-waeldern-eindeutig-rechtswidrig/

Arbeitskreis gegen Massentierhaltung:

http://huehnermastanlage.npage.de/aktuelles_24644417.html#Kleine%20Anfrage


NEZ, 3. 4. 2010:

Zitate: "Der 1. April ist vorbei, aber der einfache Mensch ist immer noch am Grübeln. Welche der Aprilscherze, die ihn am Donnerstag überrollten, sind kein Spaß, sondern graue Wirklichkeit? ... Der Aprilscherz des benachbarten Landwirtschaftsministeriums ist dagegen auf den ersten Blick durchschaubar. Minister Hans-Heinrich Ehlen soll einen Erlass herausgegeben haben, der Wälder verschwinden lässt, ganz ohne Säge. Der Minister muss nur �fiktive Waldumwandlungsgenehmigung� sagen, und schwupps ist der Wald weg. Natürlich nicht wirklich, wir Normalos können ihn noch sehen oder gegen seine Bäume laufen. Aber der Experte findet den Wald plötzlich nicht mehr und genehmigt Geflügelmastställe ohne Ende. Eine Mästerei muss eigentlich mindestens 150 Meter vom Wald entfernt sein. Aber der Waldbesitzer erhält durch Ehlens Wunder-Erlass die fiktive Erlaubnis, die Bäume abzuholzen. Das tut er zwar nicht, aber rein maststalltechnisch gibt es den Wald nicht mehr, denn er könnte ja abgeholzt werden. �Bahn frei für Mästereien unter Bäumen�? Das glaubt doch kein Mensch. Zum nächsten 1. April hätten wir gern eine wahre Geschichte..."



 
 
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