Bundeswehr

Das Geheimnis
vom Bullenberg


Strahlungsstudie des Landes Niedersachsen

17. 2. 2007. Was ist los am Bullenberg? Radio Bremen spricht im Zusammenhang mit den mysteriösen Krebserkrankungen in Mittelstenahe von einem "Geheimnis der Bundeswehr".


TV-Turm in Wohlenbeck (Foto: Radio Bremen)

Sicher ist: Mittelstenahe liegt im Schnittpunkt zweier Richtfunkverbindungen. Die eine führt vom Funkturm Wohlenbeck (bei Hemmoor) nach Südwesten. Die andere verbindet den mehr als 30 Meter hohen Funkmast in der früheren Flugabwehrraketen-Stellung auf dem Nindorfer Bullenberg mit Nordholz, wo das Marinefliegergeschwader 3 "Graf Zeppelin" stationiert ist.

"Was ist denn das
für ein Turm?"

Diese Richtfunkverbindung werde für "Notfälle noch gebraucht", habe die Samtgemeindeverwaltung nach eigener Darstellung durch Zufall erfahren, schreibt das Osterholzer Kreisblatt. Ein Investor für das verwaiste Areal hatte lapidar angefragt: "Was ist denn das für ein Turm?"


Standorte der HF-Sender und Radaranlagen der
Bundeswehr. O. lks.: Marinefliegergeschwader 3
"Graf Zeppelin" in Nordholz, Mitte: die letzten
vier HAWK-Wechselstellungen, u. a. in Nindorf
(Quelle: Wehrbereichsverwaltung Nord)

Auf dem Bullenberg die letzte Einheit des HAWK-Raketensystems in Niedersachsen stationiert, zu der vier Wechselstellungen in Ebersdorf, Deinstedt, Vollersode und Nindorf gehörten. Das geht aus einem Bericht der Landesregierung über hochfrequente elektromagnetische Felder in Niedersachsen hervor (PDF-Datei hier im Internet).

In diesem Bericht, der die "gesundheitlichen Auswirkungen" dieser Strahlenfelder zum Thema hat, wird ausführlich das HAWK-System abgehandelt, das während des Kalten Krieges zwischen dem Nike-Raketengürtel und der innerdeutschen Grenze stationiert war (siehe graue Symbole auf der kleinen Karte links). Nach der Wiedervereinigung entfiel der Sinn des FlaRak-Gürtels. Es folgten Umorganisationen und Verbandsauflösungen. Trotzdem vergingen noch etliche Jahre, bis die letzte dieser Stellungen in Niedersachsen aufgegeben worden ist: Erst 2002 war auf dem Bullenberg endgültig Schluß, heute gibt es hier keine Hawk-Stellungen mehr, wie es auf einer Website über militärische Relikte heißt (weitere Informationen hier).

Niedersachsens letzte
Hawk-Stellung

Der niedersächsische Regierungsbericht - Stand: 2001 - enthält eine längere Passage über die (damals noch aktiven) letzten HAWK-Stellungen zwischen Cuxhaven und Bremervörde:


Abbildung aus dem Regierungsbericht

Das Luftabwehrsystem HAWK wurde Anfang der sechziger Jahre in Betrieb genommen und war lange Zeit ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Luftverteidigung (Truppenpraxis, 4/94). Allerdings werden die HAWK-Einheiten zurzeit durch modernere, mobile Systeme ersetzt. In Niedersachsen ist nach Angaben der Wehrbereichsverwaltung Nord (WBV Hannover, 2001) zurzeit nur noch eine HAWK-Einheit aktiv. In der achtziger Jahren gab es in Norddeutschland etwa 50 Standorte. Die folgenden Ausführungen zum HAWK-System basieren ebenfalls auf Informationen der Wehrbereichsverwaltung Nord.

Zu einer HAWK-Stellung gehören zum jetzigen Zeitpunkt vier Radargeräte. Dies sind zwei Rundsuchradargeräte (PAR, CWAR) und zwei Zielverfolgungsradargeräte (Beleuchtungsradar HPIR), die jeweils auf Fahrzeuganhängern montiert sind... Trotz dieser Mobilität ist das HAWK-System nicht ohne räumliche Restriktionen einsetzbar, sondern wird in speziell hierfür vorbereiteten Wechselstellungen betrieben. Für die einzige in Niedersachsen stationierte HAWK-Einheit sind dies vier Wechselstellungen im Raum Bremervörde (Ebersdorf, Deinstedt, Vollersode und Nindorf)... Aber auch in diesen Wechselstellungen wird das HAWK-System nicht im Dauereinsatz betrieben. Unter durchschnittlichen Bedingungen ergeben sich monatliche Einschaltzeiten für die Rundsuchradargeräte von etwa 300 Stunden und für die Zielverfolgungsradargeräte (Beleuchtungsradar) etwa 190 Stunden je Gerät.

Was heißt "eher
unwahrscheinlich"?

Die Radargeräte des HAWK-Systems senden elektromagnetische Felder in Form eines scharf gebündelten Strahls aus. So beträgt beispielsweise beim Zielverfolgungsradar der Strahldurchmesser etwa 3.5 m in einem Abstand von 100 m. Für die einzelnen Radaranlagen der HAWK-Einheit sind die nominellen Sicherheitsabstände für den Expositionsbereich 1 nach DIN/VDE 0848 Teil 2 (Entwurf 1991) ... angegeben. Diese Sicherheitsabstände werden bereits für den ungünstigsten Fall des Aufenthalts in der Strahlmitte berechnet. Eine solche Konstellation ist jedoch für die Wohnbevölkerung eher unwahrscheinlich, da im normalen Betrieb die Radarstrahlen in den Luftraum ausgerichtet sind..."

Unumstritten ist, dass Bundeswehr-Radaranlagen bei Bundeswehr-Personal Krebs ausgelöst haben. Dazu heißt es im folgenden Absatz des Regierungsberichts wörtlich unter der Überschrift "Expositionen von Radartechnikern der Bundeswehr":

Pber 200 Radartechniker
"schwer erkrankt"

In der Öffentlichkeit hat das Thema der Erkrankungen von Radartechnikern der Bundeswehr in der jüngeren Zeit viel Beachtung gefunden. Bei der Bundeswehr haben seit ihrer Gründung mehrere Tausend Radartechniker an Radargeräten gearbeitet, von denen eine größere Zahl schwer (z.B. an Krebs) erkrankt ist. Über 200 Radartechniker haben bislang Anträge auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung gestellt.

Neben hochfrequenten elektromagnetischen Feldern entsteht in den Generatorröhren, die in älteren Radaranlagen verwendet wurden, als unerwünschtes Nebenprodukt auch ionisierende Röntgenstrahlung (Störstrahlung), deren Gefährdungspotenzial für die menschliche Gesundheit bekannt ist und in entsprechenden Grenzwertfestsetzungen berücksichtigt ist.

Üblicherweise wird ein Austritt der Röntgenstrahlung durch Bleiabschirmungen an den Geräten verhindert. Bei Wartungs- und Reparaturarbeiten wurde aber teilweise ohne die Abschirmung gearbeitet. Da die Reichweite von Röntgenstrahlung nur einige Dezimeter bis wenige Meter beträgt, können die am Radar arbeitenden Personen im Einzelfall gefährdet werden.

Radarkrebs - aber keine
allgemeine Gefährdung

Ausdrücklich warnt der Regierungsbericht davor, die Diskussion über die Gefährdung der Radartechniker (die übrigens lange Zeit vertuscht und bestritten wurde) mit der Frage einer allgemeinen Gefährdung der Bevölkerung zu verquicken:

"Es muss ... betont werden, dass es sich hier ausschließlich um ein Arbeitsschutzproblem handelt. Eine gesundheitliche Gefährdung der Allgemeinheit in der Nachbarschaft von Radaranlagen durch die Röntgenstrahlung kann aber ausgeschlossen werden.

Die Frage einer möglichen gesundheitlichen Gefährdung der Nachbarschaft durch die nichtionisierenden hochfrequenten elektromagnetischen Felder bleibt hiervon unberührt. In weiten Teilen der Berichterstattung in den Medien wird dieser Unterschied zwischen ionisierender und nichtionisierender Strahlung, der für die sachliche Diskussion ausgesprochen wichtig ist, nur unzureichend dargestellt."

Auf dem Bullenberg waren Experten zufolge jahrzehntelang Radaranlagen der folgenden Typen aktiv:

>>> PAR (Pulse Acquisition Radar) - AN-MPQ 501 XD = Impuls-Erfassungsradar zur Luftraumüberwachung mit 110 km Reichweite, auf Anhänger.

>>> CWAR (Continuous Wave Acquisition Radar) - AN-TPQ 30-15 = Dauerstrich-Erfassungsradar zur Zielerfassung, auf Anhänger.

>>> ROR (Range Only Radar) - AN-MPQ 34 = Entfernungsmeßradar, auf Anhänger.

>>> HPIR (High Powered Illuminator Radar) - AN-MPQ 33 = Zielverfolgungsradar zur  Lenkung der Flugkörper ans Ziel, auf Anhänger, je Batterie 2 Geräte.

Expertenstreit um
Richtfunk-Gefahren

Wenn diese Geräte in der Nachbarschaft keine Schäden verursachen - kommen dann eher die Richtfunkverbindungen in Frage? In dem Regierungsbericht heißt es dazu eher vorsichtig:

Es ist ... davon auszugehen, dass die Exposition der Anwohner durch die Richtfunksendeanlage äußerst gering ist und keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind.


Sozialministerin Ross-Luttmann

Allerdings räumt auch die niedersächsische Sozialministern Mechthild Ross-Luttmann ein, dass der Kenntnisstand generell noch unzureichend sei. "Die Frage, ob durch elektromagnetische Hochfrequenzfelder Krebserkrankungen ausgelöst werden können, ist derzeit in der Wissenschaft noch stark umstritten," sagt sie im NEZ-Interview (Samstag-Ausgabe).

Von einer Gefährdung durch Richtfunk geht zum Beispiel Dr. med. Wolfgang Köstler aus, der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Onkologie. Er erklärte in einem Interview zum Thema Hirntumore:

Der Mensch von heute ist einer solchen Unzahl von gepulsten Mikrowellen ausgesetzt, die zu Summationen der Feldstärken außerhalb und innerhalb des Körpers, speziell aber im Kopfbereich und im sehr stark verästelten und räumlich stark untergliederten Knochenmark fuhren können. So ist eine Zunahme der Hirntumore und der leukämischen Erkrankungen in nächster Zukunft zu erwarten.

Geht man einer Hirntumorerkrankung nach und fragt den Patienten, ob er wusste, wer noch in seiner Umgebung einen Hirntumor entwickelt hatte, bekommt man nicht selten rasch einige Namen genannt. Nimmt man anschließend eine Landkarte oder Stadtkarte zur Hand und trägt die Wohnorte der Betroffenen und gleichzeitig die elektromagnetische Wellen abstrahlenden Sender der verschiedensten Provenienz (Radar, Fernsehsender, Richtfunkstrecken, Mobilfunksender) ein, so ergibt sich der Verdacht auf eine Fokussierung der Hirntumorhäufigkeiten dort, wo auch eine Summation der Feldstärken und der einstrahlenden Frequenzen gegeben ist.

Sabine van Gemmeren
ist "sehr betroffen"

Heftige Reaktionen in der Bevölkerung hat die Weigerung von Landrat Kai-Uwe Bielefeld (Foto) aufgelöst, den Landkreis Cuxhaven im Fall Mittelstenahe einzuschalten. So erklärten die Kreis-Grünen, die Kreisverwaltung sei in der Pflicht, sich für die betroffenen Bürger einzusetzen und für finanzielle Unterstützung bei den jetzt anstehenden Untersuchungen zu sorgen. Außerdem: "Die Art und Weise, in der diese Fälle einer schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung erst nach einer so langen Zeit bekannt wurden, macht uns sehr betroffen", erklärte Grünen-Kreissprecherin und AG-Osteland-Mitglied Sabine van Gemmeren (Belum-Kehdingbruch).

Nachdem er von mehreren Leserbriefschreibern heftig attackiert worden ist, rudert der Landrat jetzt zurück. Kai-Uwe Bielefeld habe "inzwischen auch öffentlich einräumt, dass er die Lage in Mittelstenahe zunächst falsch eingeschätzt habe", meldet die NEZ in ihrer Wochenendausgabe.

Wie die Bullenberg-Affäre begann, schilder das "Osterholzer Kreisblatt" so:

In dem sonst beschaulichen 260-Seelen-Örtchen Mittelstenahe im Landkreis Cuxhaven sind die Menschen alarmiert: Mehr als 30 Dorfbewohner starben oder erkrankten schwer in den vergangenen zehn Jahren an Krebs. Die Bewohner haben einen konkreten Verdacht: Elektrosmog. Denn im Dorf schneiden sich eine Richtfunkstrecke der Bundeswehr und eine Sendetrasse der Telekom.

Leukämie, Nieren- und Lungenkrebs, mehrere Hirntumor-Fälle - in einem Dorf wie Mittelstenahe, wo jeder noch jeden kennt, sind solche Krankheiten in Windeseile Dorfgespräch. "Erst haben die Menschen nur gemunkelt, dass sich die Krebserkrankungen auffällig häufen, dann haben einige das Thema an den Bürgermeister herangetragen", berichtet Werner Otten (Foto), der Bürgermeister der Samtgemeinde Lamstedt, die Vorgeschichte.

"Werner Otten nahm
die Sache Ernst"

Dorfbürgermeister Günter Helck informierte Otten, beide hätten die Sache "gleich Ernst genommen". Ernst genommen wird der Krebsalarm auch im niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit. "Wir haben uns umgehend damit beschäftigt", erklärt Christian Stichternath, der Sprecher von Ministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU). Das Landesgesundheitsamt ist in den "Fall Mittelstenahe" eingeschaltet. Die Experten wollen jetzt jeden Krebsfall genau analysieren. Anschließend wird mit Vergleichszahlen ermittelt, ob und in welchem Ausmaß es sich tatsächlich um eine alarmierende Häufung von Todesfällen und Erkrankungen handelt."

Man erwartet eine lückenlose Aufklärung", schildert Otten die Stimmung im Dorf. Der Samtgemeindebürgermeister jedenfalls hat den "starken Verdacht", dass die Funkstrecken zumindest eine Ursache für die zahlreichen Krebserkrankungen sein könnten. In Lamstedt-Wohlenbeck gibt es einen mächtigen Fernsehturm, eine der Funkstrecken soll über Mittelstenahe verlaufen."

"De Bullenbargers"
schalten sich ein

Inzwischen steht die "HAWK-Stellung Nindorf" zum Verkauf (Einzelheiten hier). Als Verkaufshindernis erweist sich der Umstand, dass der Richtfunkturm nach Auskunft der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben "militärisch nicht entbehrlich�" ist. "Damit schränkt sich die Nutzbarkeit des rund zehn Hektar großen Areals ein", schreibt die NEZ.

Gegen Pläne, auf dem Bullenberg eine Biogas-Anlage zu bauen, haben sich inzwischen rund 60 Bürgerinnen und Bürger unter dem Vorsitz von Hartmut Tiedemann zu einem Verein namens "De Bullenbargers" zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Das Gelände soll renaturiert und ebenso wie die Gebäude für kulturelle und gemeinnützige Zwecke genutzt werden. Geplant ist außerdem eine Ausstellung "Der Bullenberg ­ früher ­ gestern ­ heute ­ morgen" .


www.ostemarsch.de

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