Was bisher geschah:
.
Tod auf Raten oder
lebendiges Museum?

Die ungewisse Zukunft eines der wichtigsten
Entwicklungsprojekte für Kehdingen-Oste 

Erst gefeiert, dann verraten: Heinrich von Borstel

Zu den engagiertesten und renommiertesten Förderern des Natureums Niederelbe zählt seit Anbeginn Heinrich von Borstel, 75, Vorsitzender des Tourismusvereins Kehdingen, langjähriger Landtags- und Kreistagsabgeordneter und erst jüngst verabschiedeter Bürgermeister von Wischhafen und Vorsitzender des Natureum-Kuratoriums. 

Noch vor vier Wochen,als sich der populäre Sozialdemokrat aus Altersgründen nach vier Jahrzehnten aus der aktiven Kreispolitik zurückzog, wurde er als hochverdientes "Kehdinger Urgestein" gefeiert. 

Wenige Tage später jedoch erreichte ihn die überraschende Nachricht, dass das Natureum-Projekt "Küstenwelten", das er seit zehn Jahren gefordert und gefördert hatte und das kurz vor der Verwirklichung stand, hinter seinem Rücken abrupt gestoppt worden war. 

Erst gefeiert,
dann verraten

"Mr. Natureum" muss diesen Rückschlag als Verrat an seinem Lebenswerk empfunden haben. Denn in den 40 Jahren, die er dem Stader Kreistag angehört hatte, war es sein "Hauptanliegen" gewesen, wie das Hamburger Abendblatt kürzlich resümierte, "das Nord-Süd-Gefälle im Landkreis Stade etwas abzumindern" - durch beharrlichen Einsatz für Nordkehdingen, den strukturschwächsten Landstrich zwischen Oste und Elbe.

Noch in der jüngsten Versammlung des Tourismusvereins Kehdingen hatte von Borstel das ambitionierte Modernisierungs- und Erweiterungsvorhaben für das Natureum vorstellen lassen: das Projekt "Küstenwelten" in einer 2000 Quadratmeter großen, in Form einer Meerassel gestalteten Ausstellungshalle, die neue Besucher anziehen sollte. Dafür waren ein Jahrzehnt Vorbereitungsarbeit und 200.000 Euro Planungskosten investiert, über eine Million Euro Zuschüsse akquriert, alle nötigen Baugenehmigungen erwirkt und die Ausschreibungsverfahren nahezu abgeschlossen.

Entscheidung in
der "toten Zeit"

Wer - in der "toten Zeit" zwischen Kommunalwahl und Konstituierung des neuen Kreistags - hinter den Kulissen den jähen Abbruch des Projekts bewirkt hat, lag zunächst im Nebel. Anlass oder Vorwand war eine neue Bürgschaftsforderung der kreiseigenen Sparkasse, die unter Hinweis auf das Bankgeheimnis Detailauskünfte verweigerte. 


Modell der Küstenwelten-Halle

Schockiert zeigte sich nicht nur von Borstel, der gegenüber dem Tageblatt (8. 11. 2011) erklärte: "Noch in der letzten Oktoberwoche hatten wir im Kuratorium in Anwesenheit eines maßgeblichen Vertreters der Kreissparkasse über den erhöhten Kreditbedarf gesprochen. Da war von keiner Bürgschaft die Rede, auch nicht für einen Teilbetrag. Wir mussten davon ausgehen, dass uns die Kreissparkasse den Kredit über 600.000 Euro bewilligt."

Die offenbar ebenfalls überrumpelte Stiftung Natureum sah sich gezwungen, kurzfristig ihr Zukunftsprojekt  zu stoppen, das neue Besucher in die Entwicklungsregion Kehdingen/Oste lenken sollte. 

Ein Coup des 
Speckgürtels?

Kritiker werteten die Entwicklung als Coup des "Speckgürtels" um Stade / Buxtehude gegen die Entwicklungsregion Kehdingen/Oste. Den Altländern seien die armen Vettern schon immer als Bittsteller und Kostgänger lästig gewesen seien. Heinrich von Borstel kritisierte öffentlich den abrupten Küstenwelten-Stopp: "Ich hatte noch vorgeschlagen, Gespräche mit den umliegenden Gemeinden, auch auf Cuxhavener Seite, und mit dem Landkreis Cuxhaven zu führen, aber das wurde nicht mehr diskutiert." 


Natureum-Geschäftsführerin Dr. Clivia Häse

Die Natureum-Geschäftsführerin Dr. Clivia Häse sah sich angesichts des "Scherbenhaufens" (Tageblatt) zu dem Versuch gezwungen, die für die "Küstenwelten" erwirkten (befristeten und zum Teil zweckgebundenen) Finanzierungszusagen, wenn möglich, in eine kleine "Lösung B" umzuleiten und die angesparte Reserven, soweit sie nicht für die jahrelange Planung in den Sand gesetzt worden waren, in die Verbesserung des Bestands zu investieren. 

Heinrich von Borstel hielt gegenüber dem "Abendblatt" mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: "Ich hoffe nicht, dass es der Tod auf Raten ist, aber ich befürchte es." Die "Küstenwelten" hätten das Natureum nach vorne gebracht; jetzt befürchte er, dass sich die Besucherzahlen höchstens stabilisieren ließen. 

Verfallen eine 
Million Euro?

Während die Natureum-Gremien sich mit dem KSK-Votum zunächst abzufinden schienen und die Presse schon das Ende der "Küstenwelten" verkündete ("Großbauprojekt geplatzt"), starteten drei Aktionen für eine Sicherung und Aufwertung des größten Naturkunde-Museums des Elbe-Weser-Dreiecks und des wichtigsten Tourismusmagneten an der Ostemündung:

> Im neuen Stader Kreistag, der sich vor vollendete Tartsachen gestellt sah, kam Widerstand auf: Einvernehmlich und selbstbewußt forderte der Kulturausschuss, dass Kreistag, Verwaltung und  Natureum nach Lösungen suchen sollten, den geplanten Hallenneubau zu retten. Begründet wurde die Bereitschaft, notfalls Geld des Landkreises in das Projekt zu stecken - neben dem Wunsch, das strukturschwache Nordkehdingen zu stärken - mit finanziellen Erwägungen: "Rein wirtschaftlich gesehen wäre es sträflich, zugesagte Zuschüsse von einer Million Euro abzulehnen", so Grünen-Fraktionschef Ulrich Hemke. Langfristig sei außerdem "die gesamte Einrichtung gefährdet, wenn der negative Trend nicht schnell gestoppt wird", gaben die "Cuxhavener Nachrichten" den Tenor der Sitzung wieder.

Chance zum
Greifen nah


Treffen der Initiative "Pro Küstenwelten"

> Parallel dazu formierte sich ein privater Kreis von Natureum-Freunden um Maike Freifrau von Zedlitz  (Balje-Hörne), der erstmals am 30. November unter dem Namen "Pro Küstenwelten" an die Öffentlichkeit trat und den abrupten Stopp des Zukunftsprojekts verurteilte. Bei gutem Willen aller Beteiligten sei die "einmalige Chance zum Umsetzen des Projekts zum Greifen nah", zumal "seit über einem Jahr eine Million Fördergelder bereit" stünden: "Diese Million darf nicht für die Museums-Umwelteinrichtung und unsere Region Nordkehdingen verloren gehen. Mit dem attraktiven Projekt Küstenwelten, einem neuen Ausstellungsgebäude zum Thema Elbmündung und ihrer Verbindung zu anderen Küsten der Welt, können die Besucherzahlen wieder auf 65.000 und mehr gesteigert werden. Dem Natureum und dem Elbeküstenpark gelänge dadurch eine nachhaltige Aufwertung. Zur Realisierung diese großartigen Projekts fehlen ca. 250.000 Euro. Das entspricht ca. 12,5 Prozent des Gesamtbedarfs. Hieran darf Küstenwelten nicht scheitern."

> Zeitgleich verbreitete die AG Osteland unter ihren Mitgliedern ud Freunden den "Baljer Appell" für eine Stärkung und Zukunftssicherung des Natureums. Den Aufruf unterschrieben binnen 48 Stunden über 150 Unterstützer, darunter führende Vertreter aus Politik, Kultur, Gewerbe, Touristik, Wissenschaft und Kommunalpolitik, zum Beispiel neun Bürgermeister aus den Osteland-Kommunen Bremervörde, Großenwörden, Hechthausen, Osten, Hemmoor, Oberndorf, Wingst, Cadenberge und Balje. 

"Offenbar doch
nicht ganz tot"

Schon am 29. November hatte die Presse angesichts der Stimmung im neuen Kreistag geurteilt: "Das Projekt 'Küstenwelten' ist offenbar noch nicht ganz tot." Nach der Osteland-Aktion, bei der Beteiligte einen "Tsunami der Sympathie" erlebten, berichtete das "Stader Tageblatt" am 3. Dezember unter dem Titel "Breites Bündnis für das Natureum": "Die Unterschriftenaktion für die Modernisierung und Zukunftsicherung findet viel Unterstützung in der Region." 

Anfang des Jahres steht das Thema "Küstenwelten" auf der Tagesordnung des Stader Kreistags.



Stand: 4. 12. 2011. - Quellen: Hamburger Abendblatt vom 2., 7., und 8. 11. 2011,  Stader Tageblatt vom 8. 11. 2011, Cuxhavener Nachrichten vom 29. 11. 2011, Stader Tageblatt vom 3. 12. 2011. - zusammengestellt von J. Bölsche, AG Osteland e. V., Fährstraße 3, 21756 Osten.

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