Ein Jahrzehnt
fürs Osteland

Beamer-Präsentation von Jochen Bölsche, Osten,
über Erfolge und Misserfolge der "Lobby für die Oste"

Der Autor, Spiegel-Redakteur im Ruhestand, lebt in Osten/Oste und ist 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Osteland e. V. 

Nachdem ich vor anderthalb Jahrzehnten - als werdender Rentner - von Hamburg an die schöne Oste gezogen war, fragte mich eine Journalistenkollegin nach den Gründen für meine Ortswahl. Meine damalige Antwort fand ich wieder als Überschrift eines von Frauke Heidtmann für die Niederelbe-Zeitung verfassten Porträts: "Jochen Bölsche: 'Ich habe hier die Freundlichkeit der Welt erfahren'". Und darunter stand: "Der dienstälteste 'Spiegel'-Redakteur lebt in Osten, schwärmt von der Schwebefähre, liebt Land, Leute und Politik." 

Weil das tatsächlich so ist, waren meine Frau Renate und ich mit dabei, als elf Gründungsmitglieder (außer uns beiden sämtlich Einheimische) am 13. Januar 2004, also vor zehn Jahren, im Ostener "Fährkrug" einen gemeinnützigen Verein ins Leben gerufen haben: die Arbeitsgemeinschaft Osteland. Inzwischen sind wir mehr als 530 Mitglieder und  gelten als Deutschlands größte ehrenantlich geführte Gewässerkooperation. 

Wir selber verstehen uns als "Lobby für einen vergessenen Fluss". Wieso vergessen? Die Oste, im Herzen des Elbe-Weser-Dreiecks, ist mit 140 Kilometern zwar der längste Nebenfluss der Niederelbe, ihr Einzugsgebiet, das von uns so genannte Osteland, ist mit 1800 Quadratkilometern größer als die Bundesländer Hamburg und Berlin zusammen, und sie ist für uns der schönste Fluss weit und breit - von den Eisvogeltälern und Kranichmooren am Oberlauf zwischen Tostedt und Bremervörde über die von Neptun regierte salzige Tideoste bei Himmelpforten, Hechthausen und Hemmoor bis hin zu den Seehundbänken in der Mündung bei Balje - ein "Fluss, der alles hat". 

Aber die Osteregion war von etlichen Politikern und Touristik-Profis in den zuständigen vier ostefernen Kreisstädten lange Zeit vernachlässigt worden. Den Winsenern lag die Luhe näher, den Rotenburgern die Wümme. In Stade bewarb man lieber das Alte Land am Elbstrom, in Cuxhaven lieber die Nordseebäder. Wenn man kurz nach der Jahrtausendwende das Wort "Oste" in die Suchmaschinen eingab, erfuhr man erstmal was über Osteoporose. 

Geradezu skandalöse Formen nahm die Vernachlässigung dieser abgelegenen Region an, als der Landkreis Cuxhaven um 2000 im Begriff war, das in seinem Eigentum befindliche überragende Wahrzeichen des gesamten Ostelandes verrosten und verrotten zu lassen: die denkmalgeschützte Schwebefähre Osten - Hemmoor, den sogenannten Eiffelturm des Nordens. Für eine Reparatur des Tourismusmagneten im letzten Dorf vor der Kreisgrenze sollte kein Geld da sein. Nach einem halben Jahren Jahrzehnt Stillstand wegen Baufälligkeit drohten Verfall und Verschrottung. 

Was tun? Wir haben 2003 geholfen, einen Weltverband der Schwebefähren zu gründen, mit keinem Geringeren als dem damals noch unumstrittenen spanischen König Juan Carlos als Ehrenpräsidenten. Die junge AG Osteland hat eine länderübergreifende Ferienroute, die Deutsche Fährstrasse Bremervörde - Kiel, eröffnet - auch um die beiden letzten deutschen Schwebefähren in Osten und Rendsburg politisch zu verankern und abzusichern. Die Öffentlichkeitsarbeit lohnte, die benötigten Gelder flossen schliesslich, die Gondel schwebte wieder, die "Bild-Zeitung erschien mit der Schlagzeile: "Spanischer König rettet Schwebefähre." 

AG-Osteland-Mitglieder haben fortan Spenden gesammelt für die Illuminierung der Fähre, für eine Webcam und eine Sonderbriefmarke, außerdem ein Fährmuseum in Osten und eine Internationale Schwebefähren-Infomeile in Hemmoor eingerichtet. Zum Hundertjährigen des Ostener Bauwerks wurde ein "Jahr der Oste" mit über 300 Veranstaltungen ausgerufen und schließlich ein Arbeitskreis Deutsche Schwebefähren gegründet; der wiederum erarbeitet einen supranationalen Antrag auf Vergabe des begehrten Unesco-Welterbetitels, der 2006 der weltältesten Schwebefähre im spanischen Bilbao bereits zuerkannt worden war. 

Bei alldem stützen wir uns auf freiwilliges Engagement. Denn wir wissen: Das Ehrenamt ist der wichtigste Rohstoff und Treibstoff in unserem finanz- und strukturschwachen Osteland. Wer Ehrenamtlichen die Ehre vorenthält, schadet unserer Region. Daher würdigen wir seit zehn Jahren alljährlich auf unserem "Tag der Oste" den Einsatz von Einzelpersonen und Vereinen mit der Verleihung des sogenannten "Oste-Oscars", des bisher mit insgesamt rund 40.000 Euro dotierten und gut 70 mal verliehenen Osteland-Kulturpreises "Goldener Hecht", nachempfunden dem sagenhaften Hechthausener Wappentier mit der goldenen Krone über dem Brunnen vor der "Ostekrone". 

Ehrenamtlich tätige Osteland-Mitglieder haben in den letzten Jahren die Ostefähre in Brobergen samt Fährkrug gerettet, ebenso die Ostener Kulturmühle, den alten Baljer Leuchtturm und einiges mehr. Sie pflegen die Heimatgeschichte mit Beiträgen zu den bislang sieben von uns herausgegebenen Büchern (das jüngste heißt "Kunst und Genuss am Ostefluss") sowie mit Wanderausstellungen etwa vorletztes Jahr zum 50. Jahrestag der verheerenden Sturmflut 1962 oder mit Veranstaltungen wie letztes Jahr zur 200. Wiederkehr des Endes der Franzosenzeit. 

Unsere Mitglieder haben eine Serie von Kunstausstellungen organisiert, um zu zeigen, dass die Region in dieser Hinsicht so fruchtbar ist wie das Worpsweder Moor, dazu literarische Exkursionen an die Wirkungsstätten von Peter Rühmkorf und Walter Kempowski. Lesungen im Rahmen eines weiteren Projekts, "Krimiland Kehdingen-Oste", nutzen die rund 50 hier handelnden Thriller, um überregional auf die Reize unserer Region neugierig zu machen. 

Seit zehn Jahren wirbt unsere Fachgruppe Messen und Märkte mit Zehntausenden von uns produzierten Gratis-Faltkarten nicht nur für die "Fährienstraße", sondern auch für den neuen Oste-Radweg Tostedt - Balje. Und Osteland-Mitglieder waren es auch, die ehrenamtlich die Nordtrasse für die Niedersächsische Milchstrasse sowie eine Historische Ostedeich-Route entworfen haben. 

Dem Schutz der Ostenatur verschrieben haben sich unser vereinsinternes "Grünes Netz Oste", dessen Mitglieder 2013 vogelkundliche Ausflüge an die Ostemündung und in die Ostemoore organisiert haben, und die Osteland-Arbeitsgemeinschaft Wanderfische: Mit Stör-Austellungen, Stör-Festen, Stör-Infoabenden und einem Stör-Denkmal setzt sie sich gemeinsam mit den fast 8000 Sportfischern und mit den Unterhaltungsverbänden für eine Wiederansiedlung des einst ausgerotteten Urzeitfischs ein. Gekrönt wurden die Bemühungen der Aktiven um Wolfgang Schütz durch die Anerkennung als UNO-Projekt 2013 und durch die Benennung des Störs zum "Fisch des Jahres" 2014. 

So erfreulich all dies ist - in den letzten Jahren waren immer wieder auch Rückschläge zu verzeichnen. So wie unser "Grünes Netz" anhaltenden Artenschwund durch die rapide Vermaisung der Region beklagen muss, hatte auch unser "Blaues Netz", das mit einem Oste-Hafenführer und einem gemeinsamen "Absegeln 2013" überregional für das Wassersportrevier Oste warb, Grund zum Protest. Geplante Einsparungen bei den Brückendurchfahrtszeiten gefährden massiv den Wassertourismus im Osteland. 

Es gibt nichts zu beschönigen: Trotz vieler beglückender Beispiele von Bürgerengagement wachsen die Belastungen für unseren abgelegenen ländlichen Raum. Stichworte sind Landflucht, Gasthaussterben, sich anbahnender Ärztemangel, die anhaltende Ausschluss des Ostelandes aus den Nahverkehrsverbünden, erneuerungsbedürftige Straßen- und Bahnbrücken wie in Hechthausen, dazu sich allenthalben vollziehende oder drohende Schliessung von Post- und Verwaltungsaussenstellen, von Jugendzentren, von Krankenhäusern und, besonders fatal, von wohnortnahen Schulen. 

Wir Osteland-Aktiven sind entschlossen, uns diesen Tendenzen weiter zu widersetzen. Wir unterstützen daher Politiker, die sich stark machen für das flache Land, denn wir verstehen uns als Teil der neuen Landbewegung, deren Mitstreiter, wenn es sein muss, auch auf die Strasse gehen, wenn wie in Sittensen das Grundwasser durch eine Methangasfabrik gefährdet werden könnte, in Cuxhaven eine Klinikschliessung droht oder, wie in Bremervörde und in Oberndorf, die Schließung einer der ortsnahen Schulen mit den freulich kurzen Wegen für die kurzen Beine. 

Im zweiten Jahrzehnt unseres Bestehens werden wir als Lobby für das Osteland nicht nur für den sanften Tourismus werben, sondern vermehrt auch kämpfen müssen gegen weitere harte Einschnitte in die Lebensqualität der Menschen im grünen Kernland zwischen Elbe und Weser. 

www.osteland.de

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