Demokratische Wahl
zwischen Pest und Cholera

SPD-Fraktionschef Manfred Dobrinkat begründet
vor dem Rat der Gemeinde Oberndorf sein
"kompromissloses Nein" zum sog. Zukunftsvertrag

Ratsherr Dobrinkat (2. v. l.) am 19. März 2013


 
Einstimmig hat der Rat der Gemeinde Oberndorf seine Zustimmung zu einem sogenannten Zukunftsvertrag verweigert, den die strukturschwache Samtgemeinde Am Dobrock zwecks Teilentschuldung und Fusion mit der Nachbar-SG Hadeln mit dem Land abschließen soll und der die Schließung der vielfach ausgezeichneten Oberndorfer Kiebitzschule (Grundschule) vorsieht. 

oste.de dokumentiert die mit großen Beifall aufgenommene Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dobrinkat:

In einer sogenannten Entschuldunghilfe über den Weg eines Zukunftsvertrages und der dazu benötigten Fusion sehe ich keine wirkliche Hilfe für unsere finanzschwache Kommune zur Lösung der finanziellen Probleme. Ich sehe darin eher das Mittel zum Zweck, sich über eine Vertragsregelung aus der Verantwortung zur Fürsorgepflicht für die Kommunen zu stehlen. 

Bei Nichterfüllung des Vertrages drohen Sanktionen. Gegebenenfalls könnte die Zahlung von Bedarfszuweisungen erschwert oder  ganz  eingestellt werden. So will man dem Austeritätsdiktat (Einsparen auf Teufel komm raus) der Bundesregierung folge zu leisten. 

Fakt ist: Die Staatsverschuldung der Bundesrepublik liegt derzeit bei etwa 81% des Bruttoinlandsproduktes im Gegensatz zu den erlaubten 60 % aus dem Maastrichter Vertrag. Bürgschaften aus der galopierenden Eurofinanzkrise drohen eingefordert zu werden. Ab 2016 tritt die Verfassungsregelung der Schuldenbremse in Kraft.

Seit 1965 fand vom Staat keine wirkliche Schuldentilgung mehr statt. Jede fällige Rückzahlung wurde durch Umschuldung mit einem neuen Kredit bezahlt. Kapital muss dringend beschafft werden, und gebende Banken müssen um jeden Preis bei Laune gehalten werden. Sollte ein Folgekredit verweigert werden, so platzt die ganze Seifenblase.

Dazu kommt, dass wegen anstehender Wahl die eigene Bevölkerung auch noch gestreichelt werden muss. Die Kosten aus vollmundigen Versprechungen - wie z. B. garantierte Kitaplätze, Herdprämie oder ähnliches - werden an die Länder weitergereicht. 

Natürlich nachdem man sehr demokratisch darüber abgestimmt hat. Hinzu kommt der erhobene Zeigefinger der Bundesregierung.

Fakt ist aber auch: Das Land ist ebenfalls verschuldet, kann diesen „Schwarzen Peter“ auch nicht behalten und versucht solche Verpflichtungen an die Kreise oder Gemeinden weiterzugeben. Wiederum wird darüber sehr demokratisch abgestimmt.

Um Geld zu beschaffen, müssen rigorose Einsparungen gemacht werden. Die Bedarfszuweisungen des Landes an die Gemeinden einzusparen ist da ein Weg. Sicher, nicht immer sind die Gemeinden Schuld an ihrer misslichen finanziellen Lage, aber was soll's - im Landes-Etat ist kein Platz für Befindlichkeiten. 

Ein weiterer Schritt ist, die Gemeinden dazu zu bewegen, größere Einheiten zu bilden, um dadurch Synergieeffekte  nutzen zu können, wie es in der Wirtschaft üblich ist.

Das heisst: auf unterster Ebene kürzen, streichen, einsparen, damit eine Etage höher mehr übrig bleiben kann.- Wie sich das auf die Gemeinden und auf das Leben in den Gemeinden auswirkt, ist eher nebensächlich.
Ein Gesamtpaket zu schnüren, ist da eine geniale Idee: einen Zukunftsvertrag. 

Solche Namen sind kein Zufall. Zukunft ist immer gut, wer kann schon gegen Zukunft sein? Ein Vertrag der verspricht der Wiederherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu dienen. Das Bonbon in diesem Paket ist die in Aussicht gestellte Entschuldungshilfe von 75 % der bis Ende 2009 aufgelaufenen Liquiditätskredite. - Wie soll das finanziert werden? - Aus Einsparungen? - Neue Kredite?

75 % - das ist genau das richtige Maß, um Begehrlichkeiten zu wecken. 50 %  ist zu wenig und 100 % , da könnten sich die Gemeinden ja eventuell wirklich aus der Schuldenfalle befreien.

Darüber wird dann wieder mal demokratisch abgestimmt. und dann wird es den Samtgemeinden mit ihren Mitgliedsgemeinden als „Gute Tat“ angeboten. 

Ein bißchen drohen, den Ratsleuten ein schlechtes Gewissen einreden, hochqualifiziertes, teuer bezahltes Fachpersonal samt Dienstwagen und Fahrer durch die Lande schicken, das muss doch klappen. - Welch ein Aufwand für eine gute Tat!-  Notfalls nochmals drohen, Anweisung an die Kommunalaufsicht geben, noch strenger zu „beaufsichtigen“ - nochmals Schwarz in Schwarz schildern, was geschieht, wenn man die ausgestreckte Hand ausschlägt. Nach dem Motto: Ihr Ratsleute der SG Am Dobrock habt soo viel Schulden angehäuft. aber wir bieten Euch 6,5 Millionen als Hilfe an. Natürlich müsst ihr etwas dafür tun. 

Die Gewährung einer Entschuldungshilfe knüpft an den Abschluss eines Entschuldungsvertrages an, in dem verbindliche Maßnahmen vereinbart werden, die zum dauerhaften Haushaltsausgleich führen. Der Vertrag hätte eine Laufzeit von 10 Jahren. Was genau in diesem Vertrag steht, das seht ihr, wenn der Vertrag unterschrieben wird. Die notwendigen Maßnahmen zur Konsolidierung des Haushaltes werden bis zum Abschluss eines konkreten Entschuldungsvertrages zu definieren sein. Aber am 31. März müsst ihr sagen , dass ihr einen solchen Vertrag wollt...

Grundsätzlich ist anzumerken, dass der dauerhafte Haushaltsausgleich für die SG Am Dobrock und ihre Mitgliedsgemeinden und damit der Erhalt einer Entschuldungshilfe nur durch Fusion mit anderen (Samt-) Gemeinden wegen der sogenannten Einwohnerveredelung im Niedersächsischen Finanzausgleichgesetz zu erreichen ist. 

6,5 Millionen machen jeden Gemeinderat nachdenklich. - Wir wollen das Geld!!!

Frage: Wie kann man der SG Hadeln eine Fusion mit der SG Am Dobrock nochmals schmackhaft machen? Nun, darüber wurde in der Lenkunggruppe und auf Samtgemeindeebene ausführlich diskutiert. „Wir müssen zeigen, dass wir zu Opfern bereit sind und auf dem Vorwege schon mal Ausgaben streichen.“ - Ein Eckpunkteprogramm wurde erstellt und natürlich wieder ganz demokratisch darüber abgestimmt.

Und heute ist für den Oberndorfer Rat der Tag X. Jetzt sollen auch hier die Ratsdamen und -herren ganz demokratisch der ganzen Geschichte ihr „Ja“ geben. Das nennt man dann Basisdemokratie.

Das heißt: Ich soll mit meiner Stimme vor meinen Wählern legitimieren, was auf diesem ganzen Staffellauf von oben nach unten ausgemickelt wurde. Ich kann wählen zwischen Pest und Cholera. Zwischen rigidem Zukunftsvertrag, der eventuell nicht zu erfüllen ist, oder einer Haushaltsverweigerung durch die Kommunalaufsicht. Alles zum Wohle der Bürger, versteht sich.

Stimme ich der vorliegenden Beschlussvorlage zu, stelle ich außerdem morgens in aller Frühe sechsjährige Pökse an die Straße, um sie erstmal mit dem Bus eine Rundreise durch die Gegend machen zu lassen. Die nächste Generation Erstklässler wird man dann irgendwann in eine noch zu schaffende Lernfabrik - sprich Zentrumschule - karren. Dann sage ich: So, mein Kind, das ist die Zukunft, die wir für dich ausgehandelt haben. Aber sei nicht traurig, hundert andere Kinder werden auch schon rumkutschiert... Dafür waren wir ungefähr eine Stunde lang in dem Besitz von 6,5 Mio Euro. Wir haben dir zwar immer noch Schulden hinterlassen, aber die sind immerhin um 6,5 Mio geringer. Für die brauchst Du keine Zinsen mehr zu bezahlen. 

Deine Pro-Kopf-Verschuldung von 24.607 € im Staat hat sich dadurch vielleicht sogar um 1 Cent verringert.

Grundschulen schließen - egal wo, heute wir, morgen ihr -  ist das Allerletzte, aber es steht im Eckpunkteprogramm an erster Stelle!

Seit Jahrzehnten klagen Kinder und Eltern über die Zustände in den Schulbussen. Rangeleien, Mobbing und solche Kleinigkeiten sind immer noch aktuell. Das Argument "Hundert andere Kinder werden schon gefahren" und "Andere Orte haben schon länger keine Grundschule mehr" ist ein Armutszeugnis. Denn auch diese Schulschließungen waren ein Fehler, wenn noch ausreichend Kinder vorhanden waren. 

Vermutlich wurden die damaligen Gemeinderäte genauso überfahren und von dem ungeheueren Sparpotential überzeugt wie 2003 der Oberndorfer Rat bei der Übergabe der Jugendpflege an die SG. Damals glaubte ich noch an die Politik. Nach Punkt 2 des Programms gibt es hier in Oberndorf faktisch keine Jugendpflege mehr. 

Fehler werden nicht automatisch richtig, wenn man sie nur oft genug wiederholt.

Kosten, Kosten, Kosten. Noch nie wurde und wird so intensiv von Seiten der Elternschaft und  Bevölkerung an Sparmodellen gearbeitet. Aber die Oberndorfer könnten die Grundschule auf einem silbernen Tablet kostenfrei der Samtgemeinde anbieten. Man will sie nicht! - Man will eine tolle, große Zentrumsschule, vielleicht sogar mit eigenem Busbahnhof.

Dass die Schließung einer Grundschule als unabdingbar für das Abenteuer Entschuldung, Zukunftsvertrag und spätere Fusion angesehen wird, bestärkt mich, kompromisslos Nein zu sagen zu diesem vorliegenden Beschlussvorschlag.

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