"Obi" - die
Moorleiche
von Obenaltendorf Vor 110 Jahren gefunden: Moorleiche "Obi" Der berühmteste Ostener führte zwei silberne Glücksbringer mit sich, trug lederne Bundschuhe und hatte einen rotblonden Dreitagebart. Für Frühgeschichtler ist seine rund 1800 Jahre alte Leiche kaum weniger bedeutsam als die 1998 entdeckte Tiefkühl-Mumie aus dem Ötztal, die alle Welt nur "Ötzi" nennt. Wären die Überreste des Mannes, gefunden im Mai des Jahres 1895 beim Torfgraben im Moor von Osten-Obenaltendorf, hundert Jahre später aufgespürt worden, hätte die Presse mit ihrem Hang zu Kosekürzeln den alten Germanen wahrscheinlich "Obi" getauft. Letzte Ruhestätte Schwedenspeicher (hinten links) Die "Moorleiche von Obenaltendorf", so die wissenschaftliche Bezeichnung, liegt heute in einer Art Glassarg, wie er sonst nur Berühmtheiten wie "Mosi" oder Märchenfiguren wie Schneewittchen zugedacht wird - genauer gesagt: in einer gläsernen Vitrine des Stader Schwedenspeicher-Museums, die "eine große Anziehungskraft auf Kinder ausübt", wie Museumsleiter Gerd Mettjes berichtet. In seiner Heimat, in Osten, ist über Obi kaum etwas bekannt. Die wenigen, die von ihm gehört haben, kennt meistens nur die Gerüchte, die sich um ihm ranken. War die Moorleiche von Obenaltendorf tatsächlich ein Mordopfer? "Obi" trug lederne Bundschuhe "Wie fast alle Moorleichen dürfte sie eines gewaltsamen Todes gestorben und im Moor versenkt worden sein", vermutet der Schauspieler und Schriftsteller Charlie Rinn-Roock in seinem vor 25 Jahren erschienenen und noch immer lesenswerten "Bunten Reiseführer" über den Landkreis Cuxhaven. Die "Chronik für das Kirchspiel Osten" legt einen möglichen Hinrichtungsgrund nahe: "Bekanntlich erzählt der Römer Tacitus: 'Feigheit, Treulosigkeit und widernatürliche Unzucht wird bei den Germanen bestraft, indem man den Schuldigen in Morast und Sümpfe versenkt.'" War Obi schwul? Unsinn, meinen Experten. Wäre der Mann aus Obenaltendorf (in der Literatur oft zu Oberaltendorf verhunzt) wirklich Opfer eines Strafgerichts geworden, hätte man wohl kaum seine beiden Silberamulette mit ihm bestattet. Museumsleiter Metjes meint in seinem Buch "Zweistromland an der Nordsee", Obi, der einen deckenartigen Mantel, kurze Hosen und um die Knie etwa 15 cm breite Wickelbinden trug, sei "vermutlich beim Anschleichen auf ein Wild gestorben" und "und von seiner Familie im Moor bestattet" worden. Website des Schwedenspeicher-Museums Für die Nachwelt gerettet wurde die Moorleiche von dem Obenaltendorfer Lehrer Meyer, dessen Fundbericht sich laut Metjes "wie ein kurzer Kriminalroman" liest. Meyer schreibt: "Die Fundstelle gehört zum Kehdinger Moore, welches sich zwischen Elb- und Ostemarsch als Randmoor beider Marschen gebildet hat. Die Leiche ist zuerst von einem Torfgräber entdeckt worden. Dieser hat sie mit seinem Spaten zuerst mitten durchschnitten und die untere Hälfte wieder verkuhlt in der Meinung, es handle sich um den Kadaver von irgend einem Tiere. Als beim zweiten Schnitte Haare und Kleidungsstücke zutage kommen, erkennt er das gefundene Stück als Leiche und vermutet nun das gräßlichste Verbrechen. Da die Fundstelle nicht weit vom Schulhause und zudem auf dem Gewese meines Schwiegervaters sich befand, so erfuhr ich bald davon und eilte aus der Unterrichtsstunde an Ort und Stelle. Ich merkte sofort, daß man es hier mit einem geschichtlichen Funde zu tun hatte, und veranlaßte, daß die Stelle vorläufig nicht weiter berührt wurde. Es galt nur zunächst, die Sachen zu bergen. Kein Mensch war zu bewegen, mir dabei behülflich zu sein, und so habe ich alles eigenhändig aus dem Moore wieder hervorgraben miissen. Tagelang bin ich dabei beschäftigt gewesen, die zerschnittenen Kleidungsstücke bis auf den letzten Lappen zusammen zu finden. ... Obenaltendorf - Obis Heimat heute Die Leiche selbst war ebenso zerschnitten und verstreut, wie die Kleidungsstücke. Ich bemerke gleich vorweg, daß diese heil und ganz hätte geborgen werden können, wenn ich gleich da gewesen wäre. Die Haut war bei jedem Körperteil heil und ganz, sie war zähe und fest, daß ich sie mit meinem scharfen Taschenmesser kaum schneiden konnte. Die Farbe der Haut war verräuchertem Pergamente sehr ähnlich. Alle von der Haut umschlossenen Teile, auch Knochen, hatten sich zu einer weißen, mehligkörnigen Masse verwandelt. Besonders gut erhalten war das Haar, auch der Bart, aus letzterem Stücke schließe ich auf eine männliche Leiche. Das Haar war tiefblond, fast rötlich. Der ganze Körper war ziemlich platt gedrückt. Die Lage der Leiche war Süd-Nord; die Länge der Lagerstätte etwa 2 m, ganz horizontal, 2 bis 1/2 m unter der Oberfläche. Eines will ich nicht vergessen zu erwähnen, es fanden sich in der Moorschicht unmittelbar um die Leiche Pflanzenteile wie Heidereste und dergleichen, die sich sonst in der Tiefe nicht vorfinden, und zudem zeigten die Pflanzengewebe teilweise nach unten statt nach oben. Daraus schließe ich, daß Erdklumpen ausgerissen und umgekehrt nach unten gepreßt sind. Ob dies mit der Vergrabung der Leiche in irgendeinen Zusammenhang gebracht werden kann?" Virtueller Besuch von "Obis" Glassarg (Mitte) Auf der Website www.schwedenspeicher.de kann jedermann einen virtuellen Rundgang durch das Regionalmuseum am alten Hafen in Stade unternehmen.
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