Seele und Geist
von Friedrichshagen

Wilhelm Bölsches Jugend- und Studienjahre




Wilhelm Bölsche wurde 1861 in Köln geboren. Der Vater, Redakteur bei der angesehenen liberalen KöInischen Zeitung, war Freidenker, hatte Verbindung zu Freiligrath, Alexander von Humboldt, Varnhagen, Gustav Freytag und Hofmann von Fallersleben. Auch ein Briefwechsel mit Fontane zeigt die geistige Offenheit des Elternhauses.

Seinen Kindern vermittelte Karl Bölsche die Grundzüge des Darwinismus. Naturstudien wurden betrieben und naturkundliche Sammlungen angelegt. Der Vater, Mitbegründer des KöIner Zoologischen Gartens, animierte seinen Sohn schon früh zum Schreiben, so veröffentlichte Bölsche schon als Gymnasiast Berichte über den Zoo, getarnt unter dem Namenskürzel des Vaters.

Dem offiziellen Schulsystem stand man skeptisch gegenüber, um die schlimmsten Beeinflussungen fernzuhalten erhielten die Bölsche-Kinder zusätzlichen Weltanschauungsunterricht. Es wundert nicht, daß ein solch alternatives Bildungsverständnis einer offiziellen Schulkarriere nicht unbedingt förderlich war.

Nach dem "Einjährigen" verließ Bölsche das Gymnasium und hielt sich 1883 zu einem längeren Kuraufenthalt in Italien auf. Danach hörte er Vorlesungen zur Archäologie und Philosophie in Bonn und Paris, brach aber das Studium ab zugunsten eigener intensiver Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Problemen, vor allem auf geologischem, biologischem und astronomischem Gebiet.

Einen Einstieg in die zeitgenössische Theoriediskussion ermöglichten ihm die Schriften von Schopenhauer, Fechner, Taine und Friedrich Th. Vischer. Die frühen literarischen Arbeiten hatten zwar keinen besonderen Erfolg gehabt, doch der Umzug nach Berlin wurde mit dem Entschluß motiviert, sich dort als freier Schriftsteller durchzusetzen - eine Fehleinschätzung seines literarischen Talentes und des Marktes, wie sich bald herausstellen sollte, denn bis zumTode des Vaters lebte er von dessen Unterstützung.

Für die sich in Berlin in diesen Jahren bildende junge Literatenszene aber wurde Bölsche eine wesentliche Bereicherung. Er brachte das mit, was ihn für die hier brodelnden Zeitfragen kompetent machte: die Verbindung von naturwissenschaftlichen und literarischen Interessen, aus denen heraus 1887 die naturalistische Programmschrift "Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. Prolegomena einer realistischen Ästhetik" entstand, autodidaktische Fähigkeiten, radikale Offenheit für die weltanschaulichen und wissenschaftlichen Probleme der Zeit und ein hohes, freidenkerisch geprägtes Ethos, eine sich selbst verpflichtende Erwartung an die Beförderung des Menschengeschlechts in harmonischem Einklang mit der Natur.

Aus: "Berlin-Friedrichshagen" von Gertrude Cepl-Kaufmann und Rolf Kauffeldt
 



 
 


 
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