Die Rache der Fl�sse
Umweltsch�tzer
hatten seit Jahren vor dem Raubbau an der Natur, vor Klimagefahren und
Hochwasserrisiken gewarnt. Als die Wassermassen von Elbe und Mulde ostdeutsche
St�dte und D�rfer �berschwemmen, Zehntausende obdachlos machen und Milliardensch�den
anrichten, registrieren die Experten eine Jahrhundertflut - und sehen ihr
Forschungsinventar ebenso davonschwimmen wie andere ihr Hab und Gut. Die
Fachleute, zu DDR-Zeiten oft als Staatsfeinde verfolgt, finden erst Geh�r,
als alles zu sp�t ist: Tiefere Ursachen der Katastrophe sehen sie in der
Erosion der W�lder, in der Versiegelung der Landschaft durch Asphaltw�sten
und in einem Agrobusiness, das speicherf�hige Wiesen in Agrarsteppen verwandelt.
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Nachts um drei klingeln ihn Kollegen aus dem Bett: "Komm, komm schnell, die Stra�e flie�t." Durch knietiefes Wasser prescht er zu seinem Arbeitsplatz, wo eilends installierte Pumpen br�unliche Br�he aus dem Parterre f�rdern - "vollkommen sinnlos", wie er wenig sp�ter erkennt.
"In Windeseile" steht das Wasser zwei Meter hoch im Haus. Auf der Stra�e treiben Autowracks und M�beltr�mmer vorbei. Gegen�ber klammert sich ein Nachbar, dem das Wasser bis zum Hals steht, in Todesangst an einen Stromkasten.
Erst Wochen nach dieser Schreckensnacht wird Mertensk�tter begreifen, dass das Jahrhunderthochwasser - das an Elbe, Mulde, Havel und Donau �ber 20 Todesopfer fordert und Milliardensch�den anrichtet - auch eine bizarre Seite hatte. Er wird von "Ironie der Geschichte" sprechen und von der "Symbolkraft des Ortes", an dem er einen "�kologischen Treppenwitz" ohnegleichen erlebt hat.
F�r den Treppenwitz hat die Wei�eritz gesorgt. Der sonst so idyllische Elbzufluss sprang nach tagelangem Dauerregen aus dem Kanal, in den s�chsische Wasserbauer ihn vor drei Generationen verbannt hatten, und eroberte sich sein altes Bett zur�ck - quer durch Dresdens Zentrum.
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Vom Parterre bis zum Dachboden steckt das f�nfgeschossige Haus, ein Riesenbau mit zwei Seitenfl�geln, voller sachverst�ndiger Verb�nde, 20 an der Zahl, von Greenpeace bis zur Gr�nen Liga, von den Naturfreunden bis zum Naturschutzbund, von der Umweltbank bis zur Umweltakademie. Vor Klimagefahren und Hochwasserrisiken haben sie alle seit Jahren gewarnt, als "�kologisches Gewissen" Sachsens, wie die "taz" sie nennt. Nach dem Schadensfall spendete das rotgr�ne Blatt den Gewissenst�tern Trost: "Die Flutwelle kennt keine ,Gerechtigkeit'."
Vielleicht h�tte sogar der eine oder andere Hausbewohner die Umweltkatastrophe voraussehen k�nnen oder m�ssen - wenn er die Risiken nicht ebenso verdr�ngt h�tte wie ein Gro�teil der �ber 100 000 deutschen Flussanrainer, die nun evakuiert werden mussten.
Vor sieben Jahren, als "der ganze Dresdner �ko-Kl�ngel" (Mertensk�tter) das Haus an der Sch�tzengasse bezog, war klar, dass das Geb�ude "mitten im alten Delta der Wei�eritz" stand und auf Sand gebaut war: "Wenn wir hier buddeln", erz�hlt der Gesch�ftsf�hrer, "finden wir �berall Flusskies."
Doch die Gefahr blieb ausgeblendet - bis zu jenem Schicksalstag, an dem pl�tzlich unten im Erdgeschoss, im Vegetarier-Restaurant "Brennnessel", das gesamte Gr�nzeug, von Artischocke bis Zucchini, im tr�ben Wasser der Wei�eritz schwappte.
Ebenso �berrascht wurden die Schlauchboot-Krieger von Greenpeace, erstes Obergeschoss. Bevor die Wei�eritz auch ihnen das Licht ausknipste, h�tten sie sich kaum tr�umen lassen, dass sie ihre Notstromaggregate einmal im eigenen Haus w�rden anwerfen m�ssen.
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Immerhin, auch in Dresden folgte auf die Sintflut die Spendenflut, die bundesweit �ber 250 Millionen Euro in die Katastrophengebiete schwemmte; die Bundesb�rger machten ihrem Ruf als Spendenweltmeister abermals Ehre. An die 100 000 Euro flossen ins abgesoffene Umweltzentrum.
Mit diesem Geld und vielen Helfern, die - wie die mehr als 20 000 Soldaten, Grenzsch�tzer und Feuerwehrm�nner - in diesen Tagen kaum aus den Gummistiefeln kamen, gelang es den Dresdner �kos bald, wenigstens den Schlamm aus dem Parterre zu r�umen und einen eingeschr�nkten B�robetrieb aufzunehmen.
Und siehe da: Nach der Flutkatastrophe schien die Umweltarbeit in Dresden wie �berall im Osten weniger m�hsam zu sein als zuvor. "Man h�rt jetzt auf uns", merkte Mertensk�tter, hinter dessen Mitstreitern frustrierende Jahre und Jahrzehnte lagen. Zu DDR-Zeiten waren viele von der Stasi als Staatsfeinde verfolgt worden.
Nach der Wende jedoch galt Umweltschutz manch einem Mitb�rger als �berfl�ssig. Denn die augenf�lligsten Probleme - Wasserverseuchung und Luftvergiftung - schienen sich mit dem Zusammenbruch der Gift speienden DDR-Industrie von selbst erledigt zu haben.
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Hinzu kam noch die Bef�rchtung, dass sich die Diskussion �ber die Hochwasservorsorge am Ende auf zwei Zielsetzungen beschr�nken k�nnte, die - so wichtig jede einzelne ist - nicht ausreichen, die nasse Gefahr zu bannen:
Soll hei�en: Effektiv bek�mpfen l�sst sich die Hochwassergefahr nicht nur am "Ende der Pipeline" (Schanze), also an den Ufern der gro�en Str�me und an den Einm�ndungen der Nebenfl�sse, wo die vielen Gaffer und die meisten Fernsehkameras standen. Die Schl�ssel zur L�sung des Problems sind versteckt in den riesigen Einzugsbereichen von Elbe, Donau, Oder, Rhein.
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Das Problem betrifft nicht nur die Elbregion: Der ganze Kontinent neigt zur Inkontinenz.
Fachleute f�hren diese Entwicklung teils auf die zunehmende Landschaftsversiegelung durch Landschaftszersiedelung zur�ck (in Deutschland werden pro Tag etwa 120 Hektar �berbaut), teils auf das Bestreben ganzer Generationen von Wasserbauern, das himmlische Nass schnellstm�glich �ber Gullys und Kan�le in Vorfluter und Fl�sse abzuleiten.
Und das nicht nur in den Ballungsgebieten. Auch abseits der St�dte mit ihren Asphaltw�sten und Betonb�ndern hat der Mensch der Natur weitgehend den Boden unter den F��en weggezogen.
Gesunde Ackerkrume, nach Altv�ter Art mit Pflanzenresten ged�ngt und von Millionen Regenw�rmern aufgelockert, gleicht einem Schwamm: Sie besteht zur H�lfte aus Hohlr�umen und taugt in hohem Ma�e als Wasserspeicher.
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Folge: Wo die unterirdischen Schw�mme schwinden, droht jeder Regen zur Schwemme zu werden.
Zus�tzlich geschw�cht wird das R�ckhalteverm�gen der B�den durch einen Negativtrend, der absurderweise durch Br�sseler Subventionen noch gef�rdert wird: die zunehmende Umwandlung relativ speicherf�higer Wiesen und Weiden in �de Agrarsteppen. Auf diese Weise ist der Anteil des Gr�nlands in Deutschland binnen zweier Jahrzehnte um etwa ein Viertel zur�ckgegangen.
An die Stelle von Wiesen tritt h�ufig flach wurzelnder Futtermais. Natursch�tzer sehen in den Stangen-Plantagen, die 35 Prozent des Regens oberirdisch abflie�en lassen, bereits eine Art "Syphilis der Landwirtschaft".
Am massivsten gesch�digt worden sind in den letzten Jahrzehnten jedoch die effektivsten aller nat�rlichen Wasserspeicher: Mitteleuropas W�lder.
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"Ein Hektar Wald", res�miert die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, "h�lt bei g�nstiger Struktur bis zu zwei Millionen Liter Wasser zur�ck" - wohlgemerkt: bei g�nstiger Struktur.
Doch gerade im Quellgebiet der Elbe und vieler ihrer Zufl�sse, im ber�chtigten "Schwarzen Dreieck" zwischen Deutschland, Tschechien und Polen, sind die Forsten jahrzehntelang durch Schwefelabgase aus Industrieschloten nachhaltig gesch�digt, teils v�llig ruiniert worden.
Die Bergw�lder im Erzgebirge, sagt der Kieler Forstwissenschaftler Ralf St�lting, seien "de facto abgestorben". Als Speicher fallen sie weitgehend aus - mit der Folge, dass die Dynamik des Wasserablaufs in die Elbe nicht mehr so wirkungsvoll gebremst wird wie vor dem Beginn der Waldzerst�rung.
�hnliche Entwicklungen drohen anderswo. Nachdem das Waldsterben im Westen Deutschlands - nach der Installation von Filtern in Kraftwerken und von Katalysatoren in Automotoren in den achtziger Jahren - schon als nahezu besiegt galt, schlug die Uno-Wirtschaftsorganisation f�r Europa (ECE) zwei Wochen nach dem Elbhochwasser Alarm.
Nach einer Phase der Erholung, hei�t es im neuesten Europ�ischen Waldbericht, habe sich der Gesundheitszustand der B�ume aufs Neue verschlechtert. "Geht das Waldsterben wieder los?", fragten Zeitungen wie das "Hamburger Abendblatt".
Tats�chlich haben erh�hte Stickstoffeintr�ge, vor allem aus der Landwirtschaft, eine Art zweites Waldsterben eingeleitet - eine Tendenz, die sich bereits Mitte der neunziger Jahre abzeichnete (SPIEGEL 1/1994).
Luftschadstoffe bek�mpfen, Bergw�lder aufforsten, die Agrarwende fortsetzen - auch solche Ziele geh�ren mithin in ein nationales Programm zur Hochwasservermeidung.
Und damit die Milliardensummen, die der Bund f�r den "Zweiten Aufbau Ost" (Schr�der) bereitgestellt hat, m�glichst effektiv eingesetzt werden, m�sse, r�t I�R-Forscher Schanze, vor allem eines untersucht werden: ob - Beispiel Wei�eritz - "teure Ma�nahmen im Unterlauf, in Dresden, nicht ersetzt werden k�nnen durch billigere Ma�nahmen im Oberlauf", etwa durch "gr�ne R�ckhaltebecken" und viele andere dezentrale Kleinspeicher.
Extremereignisse lie�en sich dadurch zwar nicht verhindern, ihre Folgen aber mildern - ebenso durch die Erarbeitung von Hochwasserschutzpl�nen, die s�mtliche �berschwemmungsgebiete nach ihrer �berflutungsh�ufigkeit parzellenscharf verzeichnen - Voraussetzung f�r amtliche Bauverbote und Abrissgebote oder Auflagen zur Nutzungs�nderung in Gefahrenzonen.
Jedes Hochwasser, hei�t es in einer I�R-Studie, werfe die Frage auf: "Ist es zu rechtfertigen, dass die Allgemeinheit Sch�den ersetzt, wenn im Retentionsraum geplant und gebaut wird, oder m�sste das erh�hte Risiko in erster Linie von den Grundst�ckseigent�mern getragen werden?"
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"Das haben die Gemeinden zu verantworten", sagt Professor Emil Dister, Auenexperte der Umweltorganisation WWF. Die Rathauspolitiker h�tten "keine R�cksicht auf wasserwirtschaftliche Belange genommen", sondern seien nur darauf bedacht gewesen, "sehr viel Geld" durch den Verkauf gemeindeeigener Feuchtfl�chen zu kassieren.
"Wir haben kein Wasserproblem, wir haben ein Siedlungsproblem", formuliert, vielleicht etwas �berspitzt, der Dresdner Umweltaktivist Mertensk�tter. Doch auch er wei�: "Es ist nicht einfach zu entscheiden, welche H�user abgerissen werden m�ssen."
Das Dresdner Umweltzentrum wird sein Quartier im alten Bett der Wei�eritz wohl kaum verlassen m�ssen. Doch als aus den R�umen containerweise kaputte Computer und verquollenes Mobiliar abgefahren wurden, schoss dem Gesch�ftsf�hrer schon mal der Gedanke durch den Kopf: "Wir kippen einfach unten eine Etage voll Beton und bauen oben eine drauf."
So ist es dann aber doch nicht gekommen. Stattdessen soll im Parterre eine Dauerausstellung zum Thema Wasser entstehen. Arbeitstitel: "Wasser-F�lle".
Knapp einen Monat nach der Flut war das Schlimmste im Umweltzentrum von Dresden �berstanden. Unter dem 10. September findet sich nun in dessen Katastrophentagebuch eine abschlie�ende Eintragung: "Die Telefonanlage l�uft wieder stabil. Zur Zeit sind die Handwerker dabei, die Elektroverteilung neu zu installieren. Wir legen sie hochwassersicher in den zweiten Stock. (Man kann ja nie wissen!)"
JOCHEN
B�LSCHE