"Die Brücken gehören
der Menschheit"

Spaniens König Juan Carlos I. mit dem
Ostener Bürgermeister Carsten Hubert

Unter starker Anteilnahme der Medien - sechs TV-Teams erschienen zur Abschluss-Pressekonferenz - ging am 20. September 2003 im spanischen Portugalete eine  Konferenz der Vertreter jener acht Städte zu Ende, in denen die letzten Schwebefähren der Welt stehen. Nach der formellen Gründung der "Asociation Mundial de Puentes Transbordadores" wurden der Spanier Javier Cardenal und der Deutsche Jochen Bölsche zum Präsidenten und Vizepräsidenten des Weltverbandes der Schwebefähren bestellt.

Wie Präsident Cardenal, Vertreter der 1893 gebauten und 1998 mustergültig restaurierten ältesten Schwebefähre der Welt, den Delegierten eröffnete, will der Schirmherr der Organisation, Spaniens König Juan Carlos I., den Verband nicht nur repäsentieren, sondern auch "persönlich mitarbeiten". Zum Abschluss einer einstündigen Audienz im Zarzuela-Palast bei Madrid hatte der Monarch zuvor erklärt, die letzten erhaltenen Exemplare dieser "liebenswerten alten Brücken" - drei in Großbritannien, zwei in Deutschland und je eine in Frankreich, Argentinien und Spanien - seien "ein Teil unser aller Geschichte". An die Fährstädte richtete der König den Appell: "Erhaltet sie!"


Auch die Cuxhavener Denkmalschützerin Birgit
Greiner hatte zuvor den Hofknicks üben müssen

Während der Audienz liess sich der König eingehend über die Pläne und Sorgen der Delegierten unterrichten. Die Cuxhavener Bauamtfrau Birgit Greiner - die wie alle weiblichen Delegierten zuvor unter Anleitung einer Dame vom Protokoll den Hofknicks geübt hatte - legte dar, wie schwer es dem strukturschwachen Landkreis als heutigem Eigentümer der 1909 erbauten Schwebefähre über die Oste fällt, das 2001 stillgelegte Baudenkmal zu erhalten.

Eine Wiederinbetriebnahme kostet nach Schätzung von Gutachtern 300 000 Euro, eine umfassende Restaurierung weitere 800 000 Euro; die insgesamt 1,1 Milionen Euro können nur mit Hilfe von Fördermitteln aufgebracht werden.

Ein von der Cuxhavener Denkmalschützerin überreichtes Foto des Altendorfer Künstlers Nikolaus Ruhl, das Schlittschuhläufer auf der zugefrorenen Oste unter dem Baudenkmal zeigt, quittierte der König des sonnigen Gastgeberlandes schmunzelnd und mit dem überraschten Ausruf: "Oh, in winter they skate."


Ein Foto von Nikolaus Ruhl
für den spanischen Monarchen

Der 2. Vorsitzende der Fördergesellschaft zur Erhaltung der Schwebefähre in Osten, Jochen Bölsche, erläuterte dem Monarchen, die Lage im Landkreis Cuxhaven sei im internationalen Vergleich ein extremer Sonderfall: Das Dorf Osten sei die kleinste Kommune der Welt, die je den Bau einer Schwebefähre gewagt habe. Wenn Bund und Land, UN und EU die Landgemeinde und den finanzschwachen Landkreis mit ihren denkmalschützerischen Verpflichtungen allein lassen sollten, werde sich das Dorf mit der weltweit kleinsten Fährbrücke zum Fährort mit den weltweit größten Problemen
entwickeln.

Unbelastet von solchen Sorgen zeigten sich in Madrid die Bürgermeister von Rendsburg und Osterrönfeld, Andreas Breitner und Jörg Sibbel, deren Orte durch die Schwebefähre unter der imposanten Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal miteinander verbunden sind: Die Bundesrepublik als Eigentümerin der Kanalquerung hat sich bereit erklärt, binnen zehn Jahren 110 Millionen Euro für die Erhaltung von Hochbrücke und Schwebefähre aufzuwenden - das Hundertfache dessen, was für eine Rettung des Ostener Baudenkmals erforderlich wäre.

Breitner und Sippel nahmen die Audienz zum Anlass, den spanischen König zu den Festlichkeiten zum 90jährigen Bestehen der Rendsburger Schwebefähre am 2. Dezember dieses Jahres einzuladen. Die beiden Bürgermeister überbrachten dem Monarchen außerdem eine offizielle Einladung der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt, die Kieler Woche 2004 zu eröffnen. Der begeisterte Segler erwiderte höflich, seine Besuche in Kiel und Travemünde aus Anlass der Olympischen Spiele seien ihm noch in bester Erinnerung.

Das offizielle Audienzfoto ist auf der Website des Palasts zu sehen.

Am Rande der Weltkonferenz im "Gran Hotel Puente Colgante" - direkt zu Füßen der 140 Meter langen, stilvoll restaurierten und nachts eindrucksvoll illuminierten "Mutter aller Schwebefähren" - vereinbarten der Ostener Bürgermeister Carsten Hubert und seine Amtskollegen aus Rendsburg und Osterrönfeld Kooperationsgespräche über die Möglichkeit einer gemeinsamen touristischen Vermarktung der beiden letzten deutschen Schwebefähren, beispielsweise durch Schaffung einer "Deutschen Fährstraße", die an der Kieler Förde beginnen könnte, wo bis 1923 am Eingang zur früheren Kaiserlichen Werft eine dritte deutsche Schwebefähre stand (siehe unten).


 Schmuckstück und Touristenmagnet:
Die älteste Schwebefähre der Welt

Wie sehr die filigranen Riesen den Fremdenverkehr fördern können, erfuhren die Delegierten am Beispiel der Brücke über die Biskaya, die vor wenigen Jahren mit einem Aufwand von drei Millionen Euro mit einem Fußgängersteg in luftiger Höhe und einer Beleuchtungsanlage ausgestattet worden ist. Das von dem Eiffel-Freund Ferdinand Arnodin erdachte und nach der Restaurierung mit dem Denkmalschutz-Diplom "Europa Nostra" ausgezeichnete Schmuckstück (Werbeslogan: "Unser Eiffelturm") hat sich zum zweitstärksten Tourismus-Magneten im Baskenland entwickelt - nach dem weltberühmten Guggenheim-Museum, das die Gäste im Rahmenprogramm der Konferenz besichtigten.

Der Argentinier Professor Carlos Pernaut, Weltvizepräsident des UN-Beratungsgremiums Icomos (International Council on Monuments und Sites), unterstrich die Bedeutung der verbliebenen Schwebefähren als Kulturerbe von globalem Wert: "Diese acht Brücken gehören der ganzen Menschheit." Das bedeute aber nicht, dass sämtliche Objekte ohne eigenes Zutun, quasi automatisch, den begehrten Status des Unesco-Welterbes (World Heritage) beanspruchen könnten; Voraussetzung sei, dass sie "authentisch und emblematisch", "qualitätvoll restauriert" und in "kohärente Konzepte" eingebettet sind.

Der argentinische Wissenschaftler - der zugleich die Schwebefähre von La Boca in Buenos Aires vertritt und am Wochenende mit der Geschäftsführung des neu gegründeten Weltverbandes betraut wurde - liess durchblicken, dass die weltälteste Brücke den hohen Ansprüchen bisher am ehesten nahekommt: "Wir steigen alle dieselbe Treppe empor, aber wir haben unterschiedlich viele Stufen erklommen," warnte Pernaut vor verfrühten Hoffnungen. Um den Welterbe-Status zu erlangen, müsse in die eine oder Schwebefähre noch "viel Geld und viel Arbeit" investiert werden.


Auch ein Osten-Foto aus dem Jahre 1909 (o. r.)
schmückte den Konferenzsaal in Portugalete

Jahrzehnte lang, resümierten die in Portugalete versammelten Experten, sei es vordringlich um "Erhaltung" und "Instandsetzung" der lange Zeit vom Abriss bedrohten Artefakte der industriellen Revolution gegangen. Nachdem an acht von ursprünglich zwanzig Standorten die Zerstörung verhindert werden konnte (in Osten/Oste maßgeblich durch den Hotelier Horst Ahlf), gehe es nun um eine gekonnte "Inwertsetzung" der Relikte für kulturelle, pädogogische und museumsdidaktische Zwecke.


Aufmerksam folgt die deutsche Delegation
den Worten der Simultanübersetzerin

Wie das bewerkstelligt werden kann, demonstriert seit kurzem das französische Rochefort-sur-Mer, wo unweit des "pont transbordeur" ein Fährmuseum eröffnet worden ist, das über die Technikgeschichte der Flußquerungen informiert. Im britischen Newport, dessen Schwebefähre mit einem Aufwand 4,5 Millionen Euro restauriert wurde, plant ein Fähr-Freundeskreis - dessen Vorsitzender Alan Cohen dem neuen Weltverband als Schatzmeister dient - ebenfalls die Einrichtung eines "Heritage Museum", ferner die Nutzung der Fährgondel als Sprechbühne und die Produktion eines Musicals mit dem Titel "Arnodin", das an den geistigen Vater der Schwebefähren erinnern soll.

Der neue Vizepräsident Bölsche sieht es als "Herausforderung" an, dass der Weltverband in seiner Gründungsversammlung neben Javier Cardenal, dem Repräsentanten der spanischen Prachtfähre, auch einen Vertreter der vom Rost angefressenen deutschen Sorgenfähre an seine Spitze gestellt hat. "Spanien hat 1893 eine Pionierleistung vollbracht, als es der Welt gezeigt hat, wie man eine Schwebefähre baut. Spanien hat jetzt erneut eine Pionierleistung vollbracht, indem es gezeigt hat, wie man eine Schwebefähre auf mustergültige Weise erhält - davon können wir alle lernen," sagte Bölsche, als er bei einem Essen in einem Golfclub bei Bilbao einen Toast auf die Gastgeber ausbrachte.


Beeindruckende Gastfreundschaft:
Chorgesang zur Begrüßung

Tief beeindruckt von der professionellen Kompetenz und der großzügigen Gastfreundschaft der spanischen Fährfreunde zeigten sich auch Bürgermeister Hubert und Fährvereinsvorsitzender Ahlf aus Osten. Beflügelt von der konstruktiven Atmosphäre der Weltkonferenz, erwog Hubert publikumswirksame Aktionen auf der Fährgondel; außerdem will er seinen Bürgermeisterkollegen Klaus-Helmut Grube aus der Stadt Hemmoor einladen, auf symbolische weise mit Besen und Farbe zu demonstrieren, dass die beiden Kommunen die stillgelegte Fähre Hemmoor-Osten - ihr gemeinsames Wahrzeichen - auch trotz schwieriger Umstände nicht aufgegeben haben.


Horst Ahlf (Osten) und Präsident Cardenal mit
Dolmetscherin bei einem Empfang in Madrid

Der Ostener Vereinsvorsitzende Ahlf will eine Vorstandssitzung einberufen, um darüber zu beraten, wie die Fähre künftig mit Leben erfüllt, der Freundes- und Fördererkreis vergrößert und das allgemeine Bewußtsein gestärkt werden kann, welche überragende Bedeutung der Ostener Fähre zukommt - einer Art Denkmal für den unternehmerischen Wagemut und die technische Genialität der Vorfahren.

www.schwebefaehre.org


 
 


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