Zwitter
zwischen Brücke und Fähre
Patrick Goeser (Rendburg) über die Welt der Schwebefähren Die junge Kunst des Eisen- und Stahlhochbaus gebar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis dahin ungeahnte Möglichkeiten des Brückenbaus. Neben feste Brücken wie Bogen- oder Hängebrücken trat eine Vielzahl beweglicher Brücken, darunter Weiterentwicklungen traditioneller Klappbrücken, aber auch neuartige Hebe- und Drehbrücken. Eine Sonderstellung nimmt dabei die Schwebefähre ein. Ihr deutscher Name zeigt ihre Zwitterposition zwischen Brücke und Fähre. Ihre englische Bezeichnung �Aerial Transponder Bridge� (in den USA) oder �Transporter Bridge� sowie ihr französischer Name �Pont Transpondeur� weisen eher auf die Brücke hin: An einem Stahlgestell, das ein Gewässer in recht großer Höhe überspannt, hängt an einem hin und her fahrenden Laufwagen eine Plattform in geringer Höher über dem Wasser. Dabei war die Durchfahrtshöhe groß genug für Segelschiffe, die überspannte Weite selten größer als 200 m. Dieser Bauform war nur eine relativ kurze Blüte beschieden: die meisten wurden zwischen 1893 und 1914 errichtet. In der Folgezeit sind die meisten auch wieder abgerissen oder umgebaut worden. Ziel der Konstruktion der Schwebefähren war einerseits die Möglichkeit, Landverkehr über schiffbare Gewässer zu befördern, ohne andererseits die damals noch sehr verbreiteten Segelschiffe � und den restlichen Schiffsverkehr - zu behindern. Während Klapp- und Drehbrücken vor allem bei starkem Land- und geringen Schiffsverkehr praktikabel waren, da sie ein Gewässer in geschlossenem Zustand fast vollständig abriegelten, und Öffnung und Schließung der Brücke recht viel Zeit in Anspruch nahmen, boten sich Schwebefähren bei starker Schiffahrt an, da sie die Wasserstraße nur kurzzeitig versperrten. Gleichzeitig ersparten sie Rampenbauten für Fahrbahnen, um entsprechend große Durchfahrtshöhen bei normaler Brückenbauweise zu ermöglichen. Die erste Schwebefähre überspannte seit 1893 den Rio Nervion zwischen Getxo und Portugalete in Bilbao in Spanien. Sie wurde während des spanischen Bürgerkrieges schwer beschädigt, jedoch 1941 wieder errichtet. Seitdem ist sie bis heute in Betrieb, derzeit als Teil des Verkehrsverbundes von Bilbao. Maßgeblich an ihrem Bau beteiligt war der Architekt Alberto de Palacio, ein Freund von Gustave Eiffel (dem Erbauer des Eiffelturmes). Ihm zur Seite stand der Ingenieur Fernand Arnodin, dessen Firma in der Folgezeit zahlreiche andere Schwebefähre-Projekte, vor allem in Frankreich, durchführte. Die �Puente Colgante de Vizcaya� hat eine Spannweite von 160 m bei 43 m lichter Höhe. 1898 wurde eine Schwebefähre in Bizerte im damals französischen Tunesien über einen Kanal errichtet. 1900 folgte ein Projekt in Rochefort über die Charente. Dieser Pont de Martrou ist der einzig erhaltene pont transpondeur in Frankreich. Er dient aber seit 1966 nur noch dem Museumsbetrieb. Eine 1903 in Nantes erbaute Schwebefähre über die Loire hatte eine Spannweite von 142m. Sie wurde 1958 abgerissen. 1905 ging die ebenfalls von Arnodin erbaute Schwebefähre in Marseille in Betrieb. Sie überspannte die Einfahrt zum Vieux Port und hatte eine Gesamthöhe von 86m bei einer Gesamtlänge von 240 m. Auf ihrem Träger befand sich ein Restaurant in luftiger Höhe. 1944 sprengten deutsche Truppen die Brücke zum Teil, und 1947 wurde sie komplett abgetragen. Bereits 1899 erhielt Rouen einen Pont Transpondeur über die Seine. Die Spannweite betrug 143 m bei 50 m Durchfahrtshöhe. Eine weitere diente seit 1909 dem Militärverkehr im Marinehafen von Brest in der Bretagne. Der Bau eines pont transpondeur in Bordeaux über die Garonne wurde 1914 vom ersten Weltkrieg unterbrochen und danach nicht weiter fortgesetzt. Die erste transporter bridge in Großbritannien war das 1904 in Newport/Wales errichtete Bauwerk über den River Usk. Auch hier war F. Arnodin am Werk. Das 215 m lange Bauwerk dient bis heute dem Verkehr auf einer Landstrasse im Süden der Stadt. 1905 wurde die Schwebefähre zwischen Widnes und Runcorn (in der Nähe Liverpools) über den River Mersey und den Manchester Ship Canal eröffnet. Mit 305 m Spannweite (bei 28 m Durchfahrtshöhe) war sie die längste je gebaute Schwebefähre. Sie wurde jedoch 1961 nach der Eröffnung einer Strassenhochbrücke abgerissen. Eine der kürzesten entstand 1914 ganz in der Nähe in Warrington auf dem Gelände einer Fabrik, auch über den Mersey. Sie war 66m lang bei 25 m Durchfahrtshöhe. Sie diente nur dem Werksverkehr und wurde 1964 stillgelegt, steht aber noch. 1911 wurde in Middlesborough über den River Tees die wohl eindrucksvollste Schwebefähre Englands gebaut. Ihr Baumeister war William Arrow, bei den Planungen zog man jedoch Arnodin als Berater hinzu. Sie hat 173 m Spannweite bei 260 m Gesamlänge und ihre Durchfahrtshöhe beträgt 49 m. 1905 wurde in Duluth, einer Hafenstadt am Oberen See in den USA, über den Duluth Ship Canal eine Aerial Transponder Bridge errichtet. Sie war 90 m lang und 42m hoch und von den französischen Konstruktionen beeinflußt. Während aber die bisher beschriebenen Schwebefähren alle als Hängebrücken konstriert waren (mit Ausnahme von Middlesborough), handelt es sich bei dem Bauwerk in den USA um eine Stahlfachwerkbrücke. Sie genügte in den 20er Jahren nicht mehr dem zunehmenden Verkehr, und wurde deshalb völlig umgebaut: Die Pylone am Ufer wurden um je 12 m erhöht, und die Fährplattform wurde durch eine den Kanal überspannende Fahrbahn ersetzt, die bei Bedarf komplett gehoben und gesenkt werden kann. In dieser Form ist die Brücke noch heute in Betrieb. Eine weitere Schwebefähre in Übersee ist der Puente Avellada in Buenos Aires (Argentinien) über den Rio Richuelo. Er wurde 1914 eingeweiht und ist bis heute in Betrieb, obwohl direkt nebenan eine zweite Brücke errichtet wurde. Die erste Schwebefähre in Deutschland wurde in der Gemeinde Osten an der Niederelbe 1908 über den Fluß Oste errichtet. Louis Pinette, ein Schüler Eiffels, errichtete sie als Stahlfachwerk-Konstruktion. Das Bauwerk mit einer Spannweite von 80 m und einer Durchfahrtshöhe von 30 m dient seit 1974 nur noch dem Museumsbetrieb. Die Fährplattform hängt nicht, wie die meisten anderen Schwebefähren, an Drahtseilen, sondern so wie die in Duluth und Buenos Aires an einem Stahlgitter. 1913 schließlich wurde die Schwebefähre über den Nord-Ostsee-Kanal in Rendsburg dem Verkehr übergeben. Sie wurde von ihrem Erbauer Friedrich Voß sozusagen als �Dreingabe� an die gewaltige Eisenbahnhochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal gehängt. Damit ist sie eine Ausnahme, denn die Brückenbauwerke sämtlicher anderen Schwebefähren dienten nur als solche. Während die Fahrstrecke der Rendsburger Schwebefähre mit 140 m bei 42 m lichter Höhe recht durchschnittlich wirkt, ist die Gesamtanlage mit dem 317 m langen Brückenbauwerk mit einer Höhe von 65 m und der Gesamtlänge von 2.486 m äußerst eindrucksvoll. Eine weitere Schwebefähre überquerte die Einfahrt aus der Kieler Förde zur kaiserlichen Marinewerft in Kiel Gaarden (heute HDW). Sie entsprach optisch den französischen Vorbildern und wurde schon 1923 wieder - als nicht mehr zeitgemäß - abgerissen. Der erste Weltkrieg brachte eine Zäsur, nach der keine weiteren Schwebefähren gebaut wurden. Anscheinend machte die Zunahme des Autoverkehrs seit den zwanziger Jahren leistungsfähigere Lösungen notwendig, die größere Fahrzeugkapazitäten bewältigen konnten (wie der Umbau in Duluth zeigt). Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg mit der Entwicklung der Spannbeton- und Hängebrücken-Architektur machte dann relativ kostengünstige Hochbrückenlösungen möglich, durch die einige Schwebefähren ersetzt wurden, so in Rochefort, Osten und Widnes/Runcorn. |